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Set-Jetting: Wenn Streaming-Serien zur wirtschaftlichen Reiselokomotive werden

| Redaktion 
| 09.07.2025

Nie war der Einfluss von TV-Serien auf unser Reiseverhalten größer als jetzt. Dabei verändern manche Produktionen nicht nur die Reisevorlieben, sondern ganze Tourismusregionen gleich mit. Ein Trend mit gewaltigem wirtschaftlichem Potenzial, aber auch Schattenseiten.

Wenn Streaming-Serien zu Werbefilmen für reale Orte werden, spricht man von Set-Jetting – der Reise zu Drehorten aus Film und Fernsehen. Was einst ein Nischentrend für Serienfans war, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem bedeutenden Einflussfaktor für die globale Tourismusbranche entwickelt.

Laut einer aktuellen Untersuchung von Expedia gaben zwei Drittel der Befragten an, dass sie sich 2025 bei der Urlaubsplanung von Serien oder Filmen inspirieren ließen. Der Einfluss des Bildschirms auf die tatsächliche Reiseroute war noch nie so groß. Und er wirkt – ökonomisch, kulturell und gesellschaftlich.

Serien als Standortmarketing

Für viele Destinationen ist der mediale Auftritt längst Teil einer strategischen Tourismuspolitik. Die thailändische Regierung etwa soll den Produzenten der HBO-Serie The White Lotus über vier Millionen Dollar an Steuervergünstigungen geboten haben, um die Dreharbeiten auf der Insel Koh Samui stattfinden zu lassen. Großbritannien wiederum vermarktet seine Drehorte in Bridgerton oder Outlander gezielt mit der Kampagne "Starring GREAT Britain".

Das wirtschaftliche Kalkül dahinter ist klar: Wer als Kulisse in einer global erfolgreichen Serie auftritt, wird über Nacht zur Marke. Der Effekt ist messbar. Nach dem Trailer zur dritten White Lotus-Staffel stiegen laut Google Trends die Suchanfragen für "Thailand Urlaub" um 412 Prozent.

Was früher mit aufwendigen TV-Spots versucht wurde, gelingt Streaming-Plattformen heute beiläufig – aber wirksamer.

Filmkulisse mit wirtschaftlichem Fußabdruck

Für Produktionsfirmen, Tourismusbehörden und Investoren ergeben sich daraus neue Synergien. Die wirtschaftliche Verwertbarkeit eines Ortes beginnt nicht mehr mit dem Bau eines Ressorts, sondern mit dem Casting als Serienkulisse. Besonders Wellnesshotels, Altstädte oder exotische Naturkulissen sind gefragt.

Location Manager wie Florian Kuthe, der an der zweiten Staffel von "Nine Perfect Strangers" mitarbeitete, berichten, dass steuerliche Anreize zwar mitentscheiden, aber letztlich Orte gewinnen, die zur kreativen Vision passen. Die Wahl fiel in diesem Fall auf ein historisches Schloss in Tirol – und das Setting wurde zum narrativen Herzstück der neuen Staffel.

 
 
 
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Für viele Regionen bedeutet das: Eine attraktive Drehgenehmigung ist nicht nur ein Kulturfaktor, sondern eine wirtschaftliche Chance – mit Nachbrennerwirkung im Tourismus.

Wenn Serien-Tourismus zur Belastung wird

Doch nicht jede Region profitiert uneingeschränkt. Wo Kameras waren, kommen Reisende – oft in Massen. Paris etwa erlebt seit dem Netflix-Erfolg Emily in Paris täglich Besuchergruppen vor dem realen Bistro "Terra Nera". Für Anwohner und umliegende Betriebe ist der Hype ein Störfaktor.

 
 
 
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Noch drastischer war die Entwicklung in Maya Bay, Thailand – bekannt aus dem Film The Beach. Über 5.000 Besucher täglich zerstörten binnen weniger Jahre über 80 Prozent des Korallenriffs. Die Bucht musste für mehr als ein Jahr geschlossen werden. Dubrovnik wiederum, berühmt geworden durch Game of Thrones, sah sich gezwungen, den Zugang zur Altstadt zu begrenzen, um den UNESCO-Welterbestatus nicht zu gefährden.

Was als popkulturelle Romantisierung beginnt, kann also schnell zur Überforderung werden – ökologisch, städtebaulich, sozial.

Zwischen Eskapismus und Markenbindung

Warum wirkt Set-Jetting so stark? Die Antwort liegt auch in der Psychologie. Serien schaffen emotionale Bindungen, deren Orte zu persönlichen Sehnsuchtszielen werden. Das gilt nicht nur für klassische Reiseziele – auch Island, Slowenien oder Nordirland erlebten durch Serienproduktionen Tourismusbooms, mit allen Begleiterscheinungen.

Psychotherapeutin Charlotte Fox Weber beschreibt es im Condé Nast Traveller als Verschmelzung von Realität und Fiktion: Menschen reisen nicht nur an einen Ort, sondern in eine Geschichte, mit der sie sich emotional verbunden fühlen. Der Paris-Trip wird zur Episode von Emily’s Paris, die Island-Wanderung zur inneren Heldenreise eines Seriencharakters. Orte werden zu Erzählräumen.

Wie umgehen damit?

Unterm Strich ist Set-Jetting ein Ausdruck unseres von Medien geprägten Lebensstils, in dem Sehnsucht, Ästhetik und Mobilität ineinandergreifen. Für Touristiker, Städteplaner und Medienunternehmen bietet der Trend freilich enormes Potenzial. Wobei es einen sensiblen Umgang mit den Chancen und Grenzen dieses Phänomens erfordert: eine Balance zwischen Sichtbarkeit und Schutz, zwischen Faszination und Überforderung. Wer heute an der Schnittstelle von Kultur und Kommerz agiert, sollte nicht nur an die Erzählung von Geschichten denken – sondern auch daran, die Räume zu erhalten.

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