Der CEO der Allright Group im Interview
Jan-Frederik Arnold: "Ryanair storniert prozentual am wenigsten Flüge"

Jan-Frederik Arnold ist CEO der Allright Group und steht mit Flightright an der Spitze eines der bekanntesten Legal-Tech-Unternehmen Deutschlands. Die Plattform basiert auf der EU-Fluggastrechteverordnung und setzt sich für Entschädigungen bei Flugverspätungen ein. Im Interview mit LEADERSNET spricht Arnold über seinen ungewöhnlichen Karriereweg, den Wechsel von McKinsey ins Legal Tech, die Rolle von KI im Rechtsmarkt – und warum für ihn nicht die Kunden, sondern die Mitarbeitenden an erster Stelle stehen.

LEADERSNET: Am 5. Juni 2025 hat sich der Europäische Rat auf eine gemeinsame Position zur Revision der EU-Fluggastrechteverordnung geeinigt. Die geplante Reform schwächt zentrale Passagierrechte erheblich, da die Verspätungsgrenze von 3 auf 4 bis 6 Stunden angehoben werden soll. Wie bewerten Sie die Einigung – und was bedeutet sie für Plattformen wie Flightright und deren Kund:innen?

Jan-Frederik Arnold: Die Einigung im Rat ist ein Rückschritt für Reisende in Europa, denn sie kommt einer faktischen Aushöhlung der Verordnung gleich. Nach dem aktuellen Vorschlag würden 60 % schon prinzipiell keine Entschädigung mehr enthalten – zudem sollen die Ausnahmen, bei denen Airlines nicht zahlen müssen, massiv ausgeweitet werden z. B. bei technischen Defekten oder Verfügbarkeit der Crews. Reisende müssen ihre Ansprüche auch innerhalb von 6 Monaten statt 3 Jahren geltend machen und für Handgepäck nun schneller Gebühren bezahlen. Statt den Gold-Standard in der globalen Absicherung von Flugreisenden aufrechtzuerhalten, wurde hier den Forderungen der Airline Lobby einseitig nachgegeben. Als Flightright geben wir den Reisenden eine Stimme und weisen auf diese Umstände lautstark hin. Die gute Nachricht: Noch kann das Parlament eingreifen und die Reform aufhalten. Ich hoffe sehr, dass die Abgeordneten im Sinne der Reisenden handeln – denn sonst wird Europa bei den Passagierrechten einen historischen Rückschritt erleben und die Europaskepsis weiter steigen.

LEADERSNET: Diese politischen Entwicklungen zeigen, wie komplex das Umfeld ist, in dem Sie agieren. Ihr persönlicher Karriereweg führte Sie von der London School of Economics über fast sieben Jahre bei McKinsey bis an die Spitze eines der größten Legal-Tech-Unternehmen Europas. Welche Fähigkeiten aus der Strategieberatung sind für Ihre heutige Rolle als CEO am wertvollsten – und welche Lehren mussten Sie erst bei Flightright neu erlernen?

Jan-Frederik Arnold: Zwei Dinge, die ich aus der Beratung mitgenommen habe, sind besonders wertvoll: Erstens, die Fähigkeit, Muster zu erkennen und komplexe Probleme in lösbare Einzelteile zu zerlegen. Wenn man beispielsweise verstehen will, warum Airlines Entschädigungszahlungen verweigern, hilft es, typische Verhaltensmuster zu identifizieren. Gibt es wiederkehrende Barrieren, wie die Forderung nach papierhaften Vollmachten? Welche Argumente bringen Airlines besonders häufig vor? Diese analytische Perspektive hilft enorm – gerade in einer datengetriebenen Organisation wie Flightright.
Das zweite ist die Optimierung der Zusammenarbeit zwischen den Teams: Unsere juristischen Teams entwickeln Strategien, die unser Operations-Team dann mithilfe unseres spezialisierten CRM-Systems, welches von der Tech-Abteilung weiterentwickelt wird, effizient umsetzt. Damit das funktioniert, braucht es klare Verantwortlichkeiten, abgestimmte Prioritäten und ein gemeinsames Verständnis. Genau dafür habe ich bei McKinsey das Rüstzeug gelernt.

LEADERSNET: Das bringt uns zu einer interessanten Paradoxie: Sie führen ein Unternehmen in einer rechtlich komplexen Branche, ohne selbst Jurist zu sein. Der Umsatz der deutschen Legal-Tech-Branche lag 2024 bei geschätzten 400 Millionen Euro. Wie schaffen Sie es, sich gegenüber traditionellen Kanzleien durchzusetzen, und wie haben Sie sich die notwendige rechtliche Expertise erarbeitet?

Jan-Frederik Arnold: Im Fluggastrecht treten wir gar nicht gegen klassische Kanzleien an – wir schaffen ein völlig anderes Angebot. Unsere Kunden tragen kein Kostenrisiko, denn wir arbeiten auf reiner Erfolgsbasis. Im Gegensatz dazu steht bei einer Kanzlei schnell ein vierstelliger Betrag für Anwalts- und Gerichtskosten im Raum – oft höher als die Entschädigung selbst.

LEADERSNET: Welche Airlines sind Ihrer Erfahrung nach am pünktlichsten oder am kulantesten bei Verspätungen und Entschädigungen?

Jan-Frederik Arnold: In diesem Jahr sind von den zehn Airlines mit den meisten Abflügen in Europa Iberia und SAS am pünktlichsten. Ryanair storniert prozentual am wenigsten Flüge. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Ryanair mit über 450.000 Flügen in diesem Jahr fast doppelt so viele Flüge durchgeführt hat als der zweitplatzierte easyJet (234.000 Flüge). Das beste Zahlungsverhalten bei Entschädigungen sehen wir bei Airlines wie Austrian, Air France oder Discover Airlines. Schlechtes Zahlungsverhalten zeigen hingegen Turkish Airlines, Vueling und British Airways.

LEADERSNET: Ihr Wechsel von McKinsey zu Flightright war ein Schritt aus der Komfortzone. Gab es einen Schlüsselmoment oder einen persönlichen Aha-Effekt, der Sie dazu bewogen hat, Berateranzug gegen CEO-Verantwortung zu tauschen?

Jan-Frederik Arnold: Der Wunsch, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen, begleitet mich schon lange. Ich wollte gestalten – ein Unternehmen weiterentwickeln, Menschen fördern und idealerweise auch gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Die Beratung war dafür ein exzellenter Einstieg: analytisches Handwerkszeug, hohe Belastbarkeit, intensive Weiterentwicklung.
Bei McKinsey habe ich in den ersten Jahren vor allem mittelgroße Unternehmen in strategischen Fragen beraten. Doch als ich für ein jahrelanges Transformationsprojekt bei einem DAX-Konzern eingesetzt wurde, merkte ich: Ich will nicht mehr nur beraten, ich will entscheiden und vor allem die Dinge ergebnisorientiert nach vorne bringen. Der Schritt zu Flightright war für mich genau der richtige, denn es gibt viel Gestaltungsspielraum einerseits und ein bewiesenes Geschäftsmodell andererseits.

LEADERSNET: Flightright setzt konsequent auf Digitalisierung und Automatisierung, um Verbraucherrechte durchzusetzen. Wie groß ist der Anteil der Fälle, die heute bereits vollautomatisch bearbeitet werden – und welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz in Ihrer Vision für die Zukunft des Legal Tech?

Jan-Frederik Arnold: Automatisierung ist das Rückgrat unseres Geschäfts. Viele wiederkehrende Aufgaben – vom Versand automatisierter E-Mails bis hin zur Vorprüfung von Dokumenten – laufen längst softwaregestützt. Bereits heute arbeiten wir mit KI-Modellen, etwa um das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände wie Unwetter vorherzusagen. Durch generative KI eröffnen sich neue Möglichkeiten: etwa beim automatisierten Auslesen von Gerichtsurteilen, in der Kundenkommunikation oder bei der Auswertung von Dokumenten. Zukünftig wird die rechtliche Ersteinschätzung vielfach durch KI und häufig ohne uns erfolgen. Doch für die tatsächliche Rechtsdurchsetzung braucht es weiterhin Dienstleister wie Allright. Wer hier KI gezielt zur Effizienzsteigerung nutzt, wird sich am Markt durchsetzen – kleinere Marktbegleiter werden die Expertise und Investitionen nicht aufbringen können.

LEADERSNET: Richard Branson sagte einst: "Clients do not come first. Employees come first. If you take care of your employees, they will take care of the clients." Flightright hat heute über 500 Mitarbeitende. Was tun Sie konkret, um die Motivation Ihrer Mitarbeitenden auf einem konstant hohen Niveau zu halten – gerade in einem anspruchsvollen, rechtlich geprägten Arbeitsumfeld?

Jan-Frederik Arnold: Unsere Mitarbeitenden wissen, wofür sie arbeiten – und das ist unser größter Hebel für Motivation. Sie helfen Menschen, niederschwelligen Zugang zu Recht zu erhalten. Und das macht einen Unterschied. Ob es die Dankesmail eines Kunden ist, der nach seiner Kündigung eine fünfstellige Abfindung erhält – oder ein Schokoladenpaket von einer Familie, die dank uns 1.000 Euro für einen stornierten Flug zurückbekommen hat: Diese Geschichten zeigen, dass unsere Arbeit zählt.

LEADERSNET: Legal-Tech boomt: 2024 wurde der deutsche Legal-Tech-Markt auf über 400 Millionen Euro geschätzt – Tendenz steigend. Wo sehen Sie die größten Chancen und blinden Flecken der Branche?

Jan-Frederik Arnold: Im Verbraucherbereich liegt enormes Potenzial. Noch immer gehen viele z. B. bei arbeits- oder mietrechtlichen Fragen direkt zur Kanzlei um die Ecke. Doch das ändert sich. Die Generation Digital Native kommt ins Alter, in dem Rechtsfragen häufiger auftreten. Und sie sucht Lösungen online. Die Verbreitung von KI befeuert diesen Trend noch: zunächst die zustehenden Rechte online recherchieren und dann den Dienstleister dort beauftragen. Ein blinder Fleck sind jedoch viele Anbieter ohne echte Marke. Wer seine Kunden nur über Google oder Meta einkauft, zahlt hohe Akquisekosten – oft 30 bis 50 Prozent des Umsatzes. Das macht nachhaltige Profitabilität schwer. Ohne eigene Marke, ohne Kundentreue, bleibt Legal Tech austauschbar. Hier liegt eine zentrale Herausforderung der Branche.

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