Fred Ramsdell im Funkloch
Nobelpreis für Medizin geht an Immunforscher, der nichts davon weiß

Während die Wissenschaftswelt jubelt, wandert ein frischgebackener Nobelpreisträger durch die amerikanische Wildnis. Der Immunforscher wurde mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet – doch von seiner Ehrung hat er bislang nichts mitbekommen. Die Geschichte eines Preises, der ins Leere lief.

Es ist ein seltener Moment wissenschaftlicher Anerkennung: Der Nobelpreis für Medizin geht an drei Forscher, die mit ihrer Arbeit zur Selbstregulierung des Immunsystems bahnbrechende Erkenntnisse geliefert haben. Doch einer der Preisträger weiß offenbar nichts von seinem Glück. Der US-Amerikaner Fred Ramsdell ist aktuell nicht erreichbar – weil er wandert. Was wie ein skurriler Nebenaspekt wirkt, sorgt in Fachkreisen für Staunen und macht deutlich, wie weltabgewandt selbst weltbewegende Nachrichten bleiben können.

Immunforscher auf Tauchstation

Fred Ramsdell, Immunologe und Mitgründer des kalifornischen Biotech-Unternehmens Sonoma Biotherapeutics, wurde zusammen mit Mary E. Brunkow und dem japanischen Forscher Shimon Sakaguchi für seine Forschung zur Immunregulation ausgezeichnet. Ihre Arbeiten haben wesentlich zum Verständnis beigetragen, wie das Immunsystem zwischen Angriff und Toleranz unterscheidet – ein Meilenstein im Kampf gegen Autoimmunerkrankungen.

Die Entdeckung der regulatorischen T-Zellen, für die das Trio nun den Nobelpreis erhält, zählt zu den bedeutendsten immunologischen Durchbrüchen der letzten Jahrzehnte. Diese Zellen sind für die Immunhomöostase verantwortlich, also dafür, dass das körpereigene Abwehrsystem nicht versehentlich körpereigenes Gewebe angreift. Dieser Mechanismus spielt etwa bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Morbus Crohn oder Typ-1-Diabetes eine entscheidende Rolle.

Doch das Nobelkomitee konnte Ramsdell nicht erreichen. Laut einem Sprecher seines Labors sei er aktuell auf einer Wanderung unterwegs und genieße "das Leben fernab des Netzes". Auch ein Freund, Immunologe Jeffrey Bluestone, scheiterte an Kontaktversuchen: "Ich habe selbst versucht, ihn zu erreichen. Ich glaube, er ist irgendwo in Idaho unterwegs." Wie die FAZ berichtet, hatte Ramsdell seinen Urlaub bewusst in einer abgelegenen Region geplant, um Abstand vom akademischen Alltag zu gewinnen – ohne zu ahnen, dass ihn währenddessen die höchste Auszeichnung seiner Branche erreichen würde.

Telefon aus, Nobelpreis an

Nicht nur Ramsdell, auch seine Kollegin Brunkow hatte die Nachricht überraschend erreicht. Sie hielt den Anruf des Nobelkomitees zunächst für Spam – schließlich kam der Anruf mitten in der Nacht und mit schwedischer Vorwahl. "Ich habe das Telefon ausgeschaltet und mich wieder schlafen gelegt", erklärte sie später gegenüber der Nobel-Stiftung. Erst Stunden später wurde ihr das Ausmaß bewusst.

 
 
 
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Dass gleich zwei der drei Preisträger zunächst nicht erreichbar waren, sorgte auch beim Komitee für Stirnrunzeln. Während Brunkow inzwischen offiziell informiert wurde und Interviews gibt, bleibt Ramsdell weiterhin offline. Die offizielle Zeremonie zur Preisvergabe ist für den 10. Dezember in Stockholm vorgesehen. Es ist Tradition, dass der schwedische König Carl XVI. Gustaf die Preise persönlich überreicht – eine Ehrung, die Ramsdell womöglich erst mit Verspätung bewusst wird.

Forschung, die Leben verändert

Die drei Forscher werden für ihre Entdeckung der sogenannten regulatorischen T-Zellen geehrt. Diese Zellen spielen eine zentrale Rolle dabei, die Selbsttoleranz des Immunsystems aufrechtzuerhalten. Ohne sie käme es zu schwerwiegenden Autoimmunreaktionen. Die Forschung hat nicht nur theoretische Bedeutung, sondern beeinflusst bereits konkrete Therapieansätze bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen.

In der pharmazeutischen Industrie wird an darauf basierenden Therapien gearbeitet, etwa in der Behandlung von rheumatoider Arthritis oder Transplantatabstoßungen. Zudem hat die Arbeit von Ramsdell und seinen Kolleg:innen die Tür zur Entwicklung personalisierter Immuntherapien weit geöffnet – ein vielversprechendes Feld, das zunehmend in den Fokus globaler Biotech-Investitionen rückt.

Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet, wird Ramsdell vermutlich erst nach seiner Rückkehr aus der Wildnis von seiner Auszeichnung erfahren. Ein Wissenschaftler, der durch Funkstille Geschichte schreibt – sinnbildlich wie wissenschaftlich: außer Reichweite. Bleibt nur zu hoffen, dass bis zur Preisverleihung nicht nur das GPS, sondern auch die Gratulation den richtigen Weg zu ihm findet.

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