Es war eine bedrückende Woche für gelebte Meinungsvielfalt: Während das Attentat auf Charlie Kirk weit über die USA hinaus Wellen schlägt, hat hierzulande außerdem die Ausladung der Münchner Philharmoniker von einem belgischen Festival für Aufregung gesorgt. Der Grund: Die Veranstalter haben "keine ausreichende Klarheit", dass Dirigent Lahav Shani ihre politischen Ansichten vollumfänglich teilt.
"In erster Linie möchte das Flanders Festival Gent ein Ort sein, an dem Künstler, Publikum und Mitarbeiter Musik in einem von Respekt und Sicherheit geprägten Umfeld erleben können“, ließen die Veranstalter des Samstag in Belgien gestarteten Flanders Fest Gent Mitte vergangener Woche verlauten.
Deshalb habe man sich "in Übereinstimmung mit dem Aufruf des Kulturministers, des Stadtrats von Gent und des Kultursektors in Gent“ dazu entschieden, den eigentlich für Donnerstag, 18. September geplanten Auftritt der Münchener Philharmoniker abzusagen.
Dieses wird ab nächstem Jahr vom neuen Chefdirigenten Lahav Shani angeführt, der 1989 in Tel Aviv zur Welt gekommen und außerdem Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra ist. Obwohl er sich "in der Vergangenheit mehrfach für Frieden und Versöhnung ausgesprochen" habe, können die Veranstalter "keine ausreichende Klarheit über seine Haltung gegenüber dem völkermörderischen Regime in Tel Aviv schaffen."
Ideologie schlägt Exzellenz
Das Flanders Fest Gent schließe eine Zusammenarbeit mit Künstlern aus, "die sich nicht eindeutig von diesem Regime distanziert haben". Und grundsätzlich haben die Veranstalter natürlich das Recht, frei über ihre Kooperationspartner zu entscheiden.
Gleichzeitig sollten sie sich darüber im Klaren sein, wie es aussieht, wenn sie jene Partner erst einzuladen, um anschließend von ihnen zu verlangen, dass sie sich (öffentlich?) gegen die Regierung ihrer Geburtsstadt aussprechen: Ideologische Gleichschaltung geht offenbar über künstlerische Exzellenz.
Neu ist dieser Mechanismus nicht: Auch im vierten Jahr des Ukraine-Kriegs sind russische Athleten oder Künstler von zahlreichen renommierten Veranstaltungen ihrer jeweiligen Felder ausgeschlossen. Die Parallelen zum aktuellen Fall bemerkt auch Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, gegenüber der dpa.
Er sagt: "Jetzt geht es um Israel. Eine vollkommen andere politische Situation, die nicht mit dem russischen Krieg zu vergleichen ist, aber wieder wird von Künstlerinnen und Künstlern eine politische Haltung verlangt, und zwar eine gegen den Staat, in dem sie geboren sind, leben und aktuell arbeiten.“
Komplizierte Differenzierung
Obwohl Zimmermann laut dpa-Interview "nicht vorschnell sagen [würde], dass die Ausladung erfolgte, weil Shani Jude ist", stellt der ethnisch-religiöse Aspekt einen Unterschied zur Absage an viele russische Kulturschaffende der jüngeren Vergangenheit dar. Er beklagt: "Aktuell ist eine Verquickung von Antizionismus und Antisemitismus und Kritik am Staat Israel zu beobachten, die leider wenig Raum für Differenzierung erlaubt."
Erschwerend kommt hinzu, dass bei dieser Differenzierung zu oft Unehrlichkeit im Spiel ist: Einerseits wird vermeintliche Kritik am Staat Israel immer wieder bewusst als Vorwand genutzt, um antisemitische Gedanken salonfähig zu machen.
Andererseits wird berechtigte Kritik am Staat Israel häufig reflexartig als Antisemitismus abgetan – gerade in Deutschland lässt sich das Aufkommen womöglich unbequemer Diskussionen auf diese Weise leicht verhindern.
"Künstlerische Freiheit darf nicht selektiv gewährt werden"
Charlotte Knobloch fällt eine klare Einordnung des aktuellen Falls nicht schwer: Ebenfalls der dpa gegenüber bezeichnete die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern die Festival-Ausladung aufgrund von Lahav Shani als "eines der krassesten Beispiele des aktuellen Judenhasses – bigott, unverfroren und unverschämt.“
"Großartige Künstler wie Lahav Shani werden von vermeintlich weltoffenen Institutionen dazu genötigt, entweder selbst Israelhass zu unterstützen oder als Paria behandelt zu werden. Das ist an Niedertracht nicht zu überbieten“, führt sie aus.
Lahav Shani mit den Münchner Philharmonikern bei "Klassik am Odeonsplatz" im Juli 2024 (Bild: Brauer Photos / G. Nitschke)
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, kommentiert, dass die Absage "mit dem Anspruch einer offenen, pluralistischen Gesellschaft nicht vereinbar [ist]. Künstlerische Freiheit darf nicht selektiv gewährt werden – und schon gar nicht auf Grundlage von Herkunft oder Religion. Wer sich zu solchen Ausschlüssen bekennt, stellt sich gegen die Grundprinzipien kultureller Vielfalt."
Es sende ein "fatales Signal", dass sich jüdische oder israelische Künstler "offenbar erst politisch rechtfertigen" müssen, um "am kulturellen Leben teilhaben zu dürfen". Darauf, dass es zahlreichen russischen Kulturschaffenden in den letzten Jahren auch ohne jüdischen Hintergrund sehr ähnlich erging, gehen weder er noch Knobloch näher ein.
Russen werden seit dem Angriff der von Wladimir Putin angeführten Föderation auf die Ukraine im Februar 2022 vermehrt vom kulturellen Schaffen ausgegrenzt. Putin begründet sein Vorgehen vor allem mit einer NATO-Osterweiterung als existenzielle Gefahr für Russland und kritisierte die Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung in den inzwischen besetzten Gebieten. Durch den Ukraine-Krieg wurde Russland insbesondere in Richtung Westen weitgehend politisch isoliert.
Israel wiederum sieht sich internationaler Kritik ausgesetzt, seit die militärischen Reaktionen auf die Hamas-Attacken vom Oktober 2023 zunehmend als überzogen wahrgenommen werden. Auch im Kultursektor schaffen viele Akteure momentan Aufmerksamkeit für die prekären humanitären Zustände im Gazastreifen, der über weite Teile in Trümmern liegt.
In Berlin versammelten sich am Samstag - völlig unabhängig von der Causa Shani - über 12.000 Personen am Brandenburger Tor zu einer Großdemonstration unter dem Motto "Stoppt den Völkermord in Gaza". Die Veranstaltung wurde von Sahra Wagenknecht, Dieter Hallervorden, Massiv und weiteren Persönlichkeiten des Bündnisses Welt in Frieden organisiert.
Neben den anhaltenden Luftangriffen in Gaza und dem Westjordanland wurden seit dem prägenden Überfall auf israelische Zivilisten auch Ziele in Syrien, Libanon, Jemen, Iran und zuletzt Katar durch Israel angegriffen. Die jüngste Militäraktion galt einem Gebäude in Doha, in dem sich Hamas-Führungskräfte aufgehalten haben. Trotz ihrer grundsätzlichen Unterstützung für Israel bezeichneten die USA die Offensive klar als kontraproduktiv für Friedensbemühungen, während sie auch vom UN-Sicherheitsrat scharf verurteilt wurde.
Belgiens Premierminister zeigt Solidarität mit Lahav Shani
Doch zurück zur Ausladung von Lahav Shani: Am Freitag äußerte sich Belgiens Premierminister Bart de Wever mit einem Posting in sozialen Medien zur Sache und bezeichnete es als "rücksichtslos und unverantwortlich", jemandem "allein aufgrund seiner Herkunft ein Berufsverbot aufzuerlegen".
Ebenso beunruhigend sei "die beispiellose Forderung, dass Künstler schriftliche Erklärungen zu ihren politischen Ansichten abgeben müssen. Dies steht in direktem Widerspruch zum Wesen der künstlerischen Freiheit." Bart de Wever bedauere die Entscheidung, "die dem Ansehen unseres Landes schweren Schaden zugefügt hat", zutiefst.
Beim Statement beließ es der belgische Premier nicht und besuchte am Samstagabend eine Vorstellung der Münchner Philharmoniker in Essen unter Leitung von Lahav Shani. Dazu schreibt de Wever:
"Unmittelbar nach dem schrecklichen Terroranschlag der Hamas habe ich meine Befürchtung geäußert, dass sich die israelische Regierung in einen endlosen gewalttätigen Konflikt im Gazastreifen hineinziehen lassen könnte. Leider hat sich diese Befürchtung bewahrheitet, mit all den schrecklichen Folgen, die dies mit sich gebracht hat."
Deshalb unterstütze Belgien "alle von der Europäischen Union vorgeschlagenen gezielten Sanktionen, um den Krieg zu beenden". Gleichzeitig betont er, dass "Rassismus und Antisemitismus" keinen Platz in Belgien hätten und er die Absage an die Philharmoniker durch das Flanders Festival Gent, "die ausschließlich auf der Herkunft des Dirigenten Lahav Shani" beruhe, entschieden ablehnt. Dies habe er Shani in Essen persönlich vermitteln wollen.
Berlin lädt Münchner Philharmoniker ein
Beistand kam Ende der Woche auch aus Berlin. Für das dortige Musikfest sind die Münchner Philharmoniker kurzfristig zu einem Sondergig ins Konzerthaus eingeladen worden, wie die FAZ berichtet. Dieser soll am Montag, 15. September stattfinden.
Die Entscheidung erfolgt als direkte Reaktion auf die Absage in Belgien und "für die verbindende Kraft der Kunst, die Grundwerte unserer demokratischen Gesellschaften in Europa und gegen Antisemitismus, Diskriminierung und den Boykott in Kunst und Wissenschaft", heißt es von offizieller Seite.
Darüber hinaus brachte die Jüdische Allgemeine zuerst in Erfahrung, dass die Deutsche Botschaft in Belgien ihre Kooperation mit dem Flanders Festival Gent aufgrund der jüngsten Vorkommnisse inzwischen beendet hat. Das Botschaftslogo hat man entsprechend von der Website entfernen lassen und selbst entsprechende Social-Media-Hinweise gelöscht.
Der Fall Gergiev
Übrigens: Bis März 2022 war Valery Gergiev der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker – ehe ihm durch Oberbürgermeister Dieter Reiter ein Ultimatum auferlegt wurde, sich "eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg" Russlands zu distanzieren. Gergiev ließ die gesetzte Frist unbeantwortet auslaufen und verlor (unter anderem) sein Engagement in München.
Wie nun von Lahav Shani wurde von Gergiev also eingefordert, dass er sich gegen die derzeit bedauerlich kriegslustige Regierung seiner Geburtsstadt ausspricht und damit mutmaßlich zahlreiche persönliche wie professionelle Brücken verbrennt, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden. Der russische Dirigent gilt als Freund von Wladimir Putin und sehr heimatverbunden.
Während Gergievs Entlassung weitgehend als notwendige Konsequenz akzeptiert wurde, wird Shanis Ausladung nun vielerorts als Skandal wahrgenommen – ein Aspekt, der eigene Fragen über die Konsistenz kulturpolitischer Maßstäbe und die Deutungshoheit im öffentlichen Diskurs aufwirft.
Thea Dorn, Sprecherin der Autorenvereinigung PEN-Berlin, stellt treffend fest: "Die Nähe zu ihren jeweiligen Regierungen mag bei Gergiev und Shani höchst unterschiedlich ausgeprägt sein, dennoch ähneln sich die Vorwürfe, die gegen beide erhoben wurden: Es geht nicht um Dinge, die sie gesagt, sondern um Dinge, die sie nicht gesagt haben. Cancel Culture und politischer Bekenntniszwang sind grundsätzlich abzulehnen und nicht nur dann, wenn es einem gerade ins weltanschauliche Konzept passen."
Regimemethoden zur Regimekritik
Natürlich bietet die sagenumwobene künstlerische Freiheit keine Narrenfreiheit. Hätte Lahav Shani vergangene Woche – rein beispielhaft - öffentlich darauf gehofft, dass der Gazastreifen schnellstmöglich systematisch ausgehungert wird, wäre die Ausladung des Flanders Festival Gent sicherlich auf weitaus mehr Verständnis gestoßen.
So lange er allerdings nicht durch entsprechend drastische Kommentare auffällt und es keine Anzeichen gibt, dass er die ihm gebotene Bühne für feindselige Bekundungen nutzt, sollte er bei Bedarf selbst eine brüderliche Freundschaft mit Benjamin Netanyahu führen dürfen, ohne dass es ihn bereits abgemachte Auftritte kostet.
Parallel könnten informierte Festivals und andere Anlässe aufgrund dieser (wohlgemerkt fiktiven) Freundschaft freilich mit jedem Recht darauf verzichten, Lahav Shani zu engagieren.
Hält man getroffene Zusagen jedoch nur gegen gewisse politische Bekundungen ein, will man Künstler schlicht und ergreifend nach eigener Vorstellung "auf Linie bringen" – ein Vorgang, der an Regime erinnert, die in diesem Zusammenhang sonst so scharf kritisiert werden.
Wo soll das noch hinführen?
Noch geht es bei den Ausladungen und Entlassungen der jüngeren Vergangenheit darum, dass Künstler für die militärischen Unterfangen ihrer Heimatländer in die Verantwortung gezogen werden. Es steht zu befürchten, dass der moralisierende Mechanismus dahinter wächst und immer "hungriger" wird, wenn er sich einmal normalisiert hat.
Überspitzt weitergedacht: Werden US-amerikanische Kulturschaffende demnächst vom Lineup entfernt, wenn ihr Anti-Trump-Statement nicht fristgerecht eingeht? Wird es brenzlig, wenn ein Ungar schon einmal für Viktor Orban gesungen hat?
Und wie sicher dürfen sich deutsche Künstler sein, dass nach etwas wie der "Drecksarbeit"-Aussage von Friedrich Merz nicht irgendwann eine Aufforderung zur Distanzierung von der Bundesregierung ins Haus flattert?
Letztlich sollte also gelten: Absagen und Ausladungen dürfen nur in Betracht kommen, wenn Künstler eine klar feindselige Haltung öffentlich vertreten – nicht, wenn sie schweigen oder sich weigern, eine von Fremden vorgegebene Formel gegen ihr Heimatland aufzusagen.
Wer auf der Bühne nicht durch Hass auffällt, sondern durch sein Werk, verdient den Schutz künstlerischer Freiheit. Andernfalls läuft man Gefahr, Kunst zu einem Prüfstein politischer Gesinnung zu degradieren und damit jene Offenheit zu verlieren, die viele kulturelle Events und Institutionen angeblich verteidigen wollen.
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