Virales Phänomen mit rechtlichen Grauzonen
Spec Advertising: Gehypter Liquid Death-KI-Clip zeigt, wie Fans zu Werbern werden

| Natalie Oberhollenzer 
| 20.07.2025

Ein Werbespot in Studioqualität, mit reichlich Humor und visuellem Feinschliff – aber nicht von der Marke selbst? In den USA sorgt derzeit genau das für Aufsehen: Ein einminütiger Clip für das Getränke-Startup Liquid Death geht viral. Die Besonderheit: Der Spot wurde ohne Auftrag, ohne Budget und vollständig mit Künstlicher Intelligenz produziert – und trotzdem hielten ihn viele für offiziell.

Liquid Death ist eine US-amerikanische Getränkemarke, die stilles und sprudelndes Bergquellwasser aus Österreich in einer Dose verkauft (wir berichteten bereits über das bizarre, höchst erfolgreiche Startup) – mit Punk-Branding, Totenkopf-Logo und dem Slogan "Murder Your Thirst". In Europa ist die Marke bisher nur punktuell vertreten, insbesondere im Onlinevertrieb oder durch Events. In den USA jedoch ist sie längst Kultmarke unter Millennials, Skatern und der Creator-Szene – und bekannt für ihre provozierenden Werbekampagnen.

Der aktuelle Spot passt genau in dieses Bild: Produziert wurde er von einem unabhängigen Kreativtrio mithilfe des KI-Videotools Veo 3 von Google – ohne jegliche Rücksprache mit Liquid Death. Trotzdem verbreitete sich das Video viral über Social Media. Es zeigt, was heute möglich ist, wenn technologische Werkzeuge auf kreative Energie treffen – ganz ohne Agenturstruktur.

Spec Werbung 2.0 – made in USA

In den USA erlebt sogenannte Spec Advertising (also spekulative, nicht beauftragte Werbung) gerade einen Boom – getrieben durch KI. Was früher als Bewerbungsschreiben für Kreative diente, wird heute zur viralen Visitenkarte: Billig produziert, schnell veröffentlicht, millionenfach geteilt.

Der Liquid-Death-Spot ist dabei nur ein Beispiel. Das Fintech-Startup Kalshi etwa ließ einen KI-generierten Werbespot während der NBA Finals laufen – Kostenpunkt: nur 2.000 US-Dollar, Reichweite: über 20 Millionen Impressions. Zum Vergleich: Klassische TV-Spots in diesem Umfeld kosten leicht das Hundertfache.

Ein Blick auf die KI-Content-Welle (US-Daten)

Die folgenden Zahlen stammen größtenteils aus dem US-Markt, der als Vorreiter in der KI-basierten Kreativwirtschaft gilt:

  • 40 Prozent aller Videos auf großen Plattformen wie YouTube oder TikTok sind KI-generiert
  • 58 Prozent der Videoanzeigen auf YouTube stammen von KI-Tools
  • 72 Prozent der US-Creator nutzen KI, um ihre Video-Thumbnails zu optimieren – mit teils deutlich höheren Klickraten
  • Der Markt für KI-generierte Videos wird laut US-Plattform Zebracat bis 2030 auf 14,8 Milliarden US-Dollar wachsen (jährliches Plus: 35 Prozent)

Die zugrundeliegenden Tools – von Suno (Musikvideos) bis Runway, Zebracat und Veo (Bewegtbild) – sind größtenteils US-dominiert. Dennoch ist der Trend auch für Europa relevant: Kreative Formate aus den USA beeinflussen zunehmend die Content- und Werbekultur im deutschsprachigen Raum.

Zwischen Gratis-Reichweite und Image-Gefahr

Aus Unternehmenssicht sind fanbasierte KI-Werbespots zweischneidig. Auf der einen Seite stehen die Chancen: etwa die kostenlose Sichtbarkeit, dass es sich um frische Ideen von außen handelt und es eine hohe Identifikation und Engagement durch die Community ermöglicht.

Demgegenüber birgt der Trend freilich Risiken: darunter einen Tonalitätsbruch und Image-Schäden und eine rechtliche Unsicherheit bei Marken- und Urheberrechten. Dazu kommt es zu Verwirrung beim Publikum. Was ist denn nun offiziell und was nicht? Diese Frage werden sich Seher:innen zunehmend stellen (müssen).

Ein prominenter Fall aus den Niederlanden zeigt es auf: Ein KI-generierter Spot für KFC wurde wegen frappierender Ähnlichkeit mit einem früheren Werbefilm eines Regisseurs kritisiert. Der Vorwurf: Die KI habe bestehendes Material unreflektiert imitiert.

Fix ist in dem Belang jedenfalls, dass Marken, die ein klares Profil haben, andere inspirieren – ob gewollt oder nicht.

Wenn ein Unternehmen mit derlei Fan-Content konfrontiert wird, sollte vorbereitet sein, rät das US-Portal Designrush. Man möge demnach

  • Inhalte honorieren, wenn sie zur Marken-DNA passen
  • klare Regeln schaffen für den Umgang mit inoffiziellen Inhalten, und
  • bei kritischen Inhalten rechtzeitig reagieren

Denn eines steht fest: Die Markenwahrnehmung entsteht heute zunehmend auch im Feed der Nutzer.

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