Studie entlarvt jahrzehntelangen Irrtum
Warum Linkshänder nicht kreativer sind als Rechtshänder

| Redaktion 
| 19.08.2025

Seit Jahrzehnten gilt die Annahme, dass Linkshänder:innen besonders kreative Köpfe seien. Bekräftigt durch prominente Beispiele, hielt sich dieser Mythos hartnäckig. Nun zeigt eine umfassende Meta-Analyse: Der Zusammenhang zwischen Händigkeit und Kreativität ist wissenschaftlich nicht belegbar. Was das für die Arbeitswelt bedeutet – und warum es höchste Zeit ist, mit veralteten Denkmustern aufzuräumen.

Was viele für eine bewiesene Tatsache hielten, entpuppt sich als populärwissenschaftliches Wunschdenken: Eine neue Meta-Analyse widerlegt den seit Jahrzehnten bestehenden Glauben, dass Linkshänder:innen kreativer seien als Rechtshänder:innen. Die Ergebnisse haben auch für HR-Abteilungen, Innovationsprozesse und Teamdynamiken weitreichende Konsequenzen. Kreativität ist demnach weniger eine Frage der Händigkeit, sondern vielmehr das Resultat gezielter Förderung, methodischer Vielfalt und kultureller Offenheit.

Wie entstand der Kreativitätsmythos?

Die Idee vom kreativen Linkshänder ist tief im kollektiven Bewusstsein verankert. Der sogenannte "linkshändige Exzeptionalismus" suggeriert, dass zwei seltene Eigenschaften – Linkshändigkeit und kreative Genialität – zwangsläufig miteinander verknüpft seien. Prominente Beispiele aus Kunst und Musik scheinen das zu bestätigen. Tatsächlich aber basiert dieser Glaube auf verzerrten Daten, kulturellen Überhöhungen und selektiver Wahrnehmung.

Hinzu kommt ein psychologisches Muster: Menschen neigen dazu, außergewöhnliche Persönlichkeiten mit außergewöhnlichen Eigenschaften zu erklären – auch wenn der Zusammenhang statistisch nicht existiert. Ein weiterer Faktor ist die mediale Romantisierung des sogenannten "gequälten Künstlers".

Studien belegen, dass Linkshänder:innen überdurchschnittlich häufig von psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Schizophrenie betroffen sind. Diese Korrelation wurde über Jahrzehnte hinweg fälschlich mit künstlerischer Genialität verknüpft. In Wahrheit handelt es sich um ein Phänomen, das eher eine Herausforderung für Betroffene darstellt als einen Beweis für kreative Hochleistung.

Was sagt die aktuelle Forschung dazu?

Laut einem Bericht von t3n basiert die jüngste Meta-Analyse auf Daten der Cornell University und wurde im Fachjournal Psychonomic Bulletin & Review veröffentlicht. Die Wissenschaftler:innen werteten darin rund 1.000 Studien aus, die seit dem Jahr 1900 erschienen sind – ein außergewöhnlich breites Fundament für eine psychologische Untersuchung.

Die Untersuchung gilt als eine der umfassendsten ihrer Art im Bereich kognitiver Psychologie. Das Ergebnis: In standardisierten Kreativitätstests zeigten Linkshänder:innen keinen Vorteil gegenüber Rechtshänder:innen. In manchen Fällen schnitten Letztere sogar leicht besser ab. Der leitende Forscher Daniel Casasanto fasst zusammen: "Die Daten stützen keine Annahme eines Vorteils für Linkshänder beim kreativen Denken."

Auch bei Tests zum sogenannten divergenten Denken – einer Schlüsselkomponente kreativen Schaffens – ergab sich kein konsistenter Unterschied. Vielmehr zeigten sich Kreativitätslevel als weitgehend unabhängig von der dominanten Hand. Die Studienautor:innen kommen zu dem Schluss, dass Kreativität ein multifaktorielles Phänomen ist, das stark von Bildung, Umfeld und individuellen Denkstrategien beeinflusst wird.

Was bedeutet das für Unternehmen?

Die Forschung zeigt zudem, dass Linkshänder:innen in kreativen Berufen insgesamt leicht unterrepräsentiert sind. Das bedeutet nicht, dass sie weniger kreativ wären – sondern dass Kreativität unabhängig von der Händigkeit entsteht. In der Arbeitswelt sind solche Erkenntnisse von hoher Relevanz: Vorurteile, sogenannte "Unconscious Biases", beeinflussen häufig unbewusst Personalentscheidungen.

Wer Teams zusammenstellt, sollte sich daher nicht von Mythen oder vereinfachten Zuschreibungen leiten lassen, sondern auf valide Kompetenzen und objektive Auswahlkriterien achten. Diversität im Denken entsteht nicht durch dominante Hände, sondern durch strukturelle Offenheit, methodische Vielfalt und eine Unternehmenskultur, die unterschiedliche Perspektiven gezielt fördert.

Auch im Employer Branding sowie in der Führungskräfteentwicklung spielt dieser Perspektivwechsel eine wichtige Rolle: Wenn Entscheidungsträger:innen überkommene Klischees hinterfragen, entsteht Raum für neue Talente – unabhängig von tradierten Zuschreibungen. Gerade in Zeiten wachsender Innovationsanforderungen und dynamischer Märkte ist ein faktenbasierter Umgang mit Potenzialen essenziell.

Händigkeit ist kein eignungsdiagnostischer Prädiktor.
Hinter dem Mythos steckt meist Verfügbarkeitsheuristik durch prominente Einzelfälle.

Für die Praxis heißt das: Kreativität nicht zuschreiben, sondern beobachten.

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