Der Bausachverständige im Interview
Christoph Riedel: "Der Traum vom Eigenheim wird oft zum Albtraum"

Der Immobilienmarkt steht Kopf: Immer mehr unsanierte Wohnungen und Häuser drängen auf den Markt – oft mit gravierenden Mängeln und schlechter Energiebilanz. Studien zeigen, dass mehr als 40 Prozent der auf Plattformen und von Maklern zum Kauf angebotenen Wohnimmobilien unsaniert sind und in die schlechtesten Energieeffizienzklassen F bis H fielen. Viele Eigentümer versuchen, sich von Sanierungsfällen zu trennen, doch für Käufer lauern hier erhebliche Risiken.

In seinem Alltag sieht Riedel nicht nur versteckte Baumängel und Sanierungsstaus, sondern auch die menschlichen Dramen dahinter: Familien, die ihre Ersparnisse in vermeintliche Traumimmobilien investiert haben, nur um festzustellen, dass sie sich in einen Albtraum eingekauft haben. Im Interview mit LEADERSNET erklärt er, worauf Käufer achten sollten, wie sich seriöse von betrügerischen Anbietern unterscheiden lassen – und warum professionelle Beratung vor dem Kauf oft tausende Euro spart.

LEADERSNET: Herr Riedel, Sie sagen: "Der Traum vom Eigenheim wird oft zum Albtraum." Was sind die häufigsten Fehler, die Käufer bei unsanierten Immobilien machen – und warum sehen viele das Desaster erst, wenn es zu spät ist?

Christoph Riedel: Der Blick der Kunden ist häufig verstellt. Sie sehen das Zielbild Ihres Traumhaus am Ende und unterschätzen den Aufwand, bis es soweit ist, deutlich. An Dach, Fenster und Heizungsanlage denken fast alle Kunden. Über alte Rohrnetzte (Wasser, Schmutzwasser, Heizkreise) und Elektroleitungen nur wenige. Ebenso werden strukturelle Themen an der Substanz sehr häufig falsch bewertet.

LEADERSNET: Die EU strebt bis 2035 eine weitgehende CO₂-Neutralität im Gebäudesektor an, doch über 40 Prozent der angebotenen Immobilien fallen in die schlechtesten Energieeffizienzklassen. Wie realistisch ist es, solche Immobilien nachträglich auf einen modernen Energiestandard zu bringen, und welche Kosten kommen dabei auf die Käufer zu?

Christoph Riedel: Am Bau ist mit Geld sehr viel möglich. Ich halte die CO2-Neutralität im Neubausektor auch für vertretbar. Im Bestand indes werden die Dämmung der Gebäudeaußenhülle, bspw. mit Kellerdecken-, Fassaden- und Dachdämmungen, Fenstererneuerungen und die Anpassungen an Wärmeerzeugung (Heizung) und Wärmeverteilung (Rohrnetzte) leicht sechsstellig sein. Kommt dann noch weitere Anlagentechnik wie Photovoltaik oder Solarthermie hinzu, sind die Preise Hauskäufer bei den hohen Einstandskosten der Immobilien kaum mehr zu tragen.

LEADERSNET: Der Verbraucherschutz warnt vor sogenannten "Renovierungspartnern" und unseriösen Handwerksfirmen, die gezielt Immobilienkäufer abzocken. Ein Sprichwort sagt: "Der Preis für alles ist die Menge Leben, die man dafür eintauscht." Doch wie erkennt man seriöse Anbieter – und woran erkennt man Betrüger? Welche Warnsignale gibt es bei Sanierungsangeboten?

Christoph Riedel: Firmen, bei denen man wirklich alles aus einer Hand bekommt sind sehr selten. Betrügerische Firmen setzen häufig unqualifizierte Kolonnen und Subunternehmer ein. Häufig auch aus dem Ausland. Ein klarer Indikator für unseriöse Angebote ist ein im Vergleich zu summierten Einzelangeboten erheblich niedrigerer Preis. Auch die Angebote selbst, sollte man genau prüfen. Ist die Leistung ausreichend beschrieben, sind Mengen und Massen korrekt erfasst, stimmt die Summenbildung? Häufig sind auch gravierende Rechtsschreibfehler eine Indikation. Weiterhin sollten Leistungen erst bezahlt werden, wenn diese auch erbracht, geprüft und abgenommen wurden. Vorauskassen und Barzahlungen sind bis auf wenige Ausnahmen unüblich.

LEADERSNET: Die durchschnittlichen Sanierungskosten für eine Altbauimmobilie liegen laut Bauherren-Schutzbund zwischen 400 und 800 Euro pro Quadratmeter. Viele Käufer kalkulieren jedoch nur mit 200–300 Euro. Welche versteckten Kostenfallen übersehen Laien am häufigsten, und wie erkennt man als Käufer die wahren Dimensionen eines Sanierungsstaus?

Christoph Riedel: Ich halte den pauschalen Kostenansatz des Bauherren-Schutzbundes für insgesamt zu niedrig. Die Kalkulationen der Bauherren sind in Positionen, die sie absehen, googlen oder mit KI-kalkulieren können meistens korrekt erfasst. Die Kostensteigerungen finden immer an den Punkten statt, an die nicht gedacht wurde oder bei Problemen, die erst im Nachgang bei Sanierung auftauchen. Ein klassisches Beispiel sind Rückbau- und Entsorgungskosten vor Durchführung einer Sanierung, an die kaum einer denkt oder auch ein schwacher Dachstuhl, der Mehrgewichte für gesetzlich vorgeschriebene Dämmung und Anlagentechnik nicht mehr trägt.

LEADERSNET: "Wer billig kauft, kauft zweimal", heißt es im Volksmund. Was kostet eine professionelle Begutachtung vor dem Kauf – und wie oft konnten Sie dadurch Ihren Kunden schon größere finanzielle Schäden ersparen?

Christoph Riedel: Die Fälle können wir gar nicht mehr zählen, da viele Kunden im Vorfeld des Erwerbes zu knapp kalkulieren. Hierbei geht es häufig nicht einmal um unentdeckte Schäden, sondern schlichtweg um den Umfang notwendiger Baumaßnahmen. Die Kosten einer Begutachtung werden, je nach Immobilie, im Bereich von € 1.600,- liegen. Ein im Verhältnis zu Kaufpreisen und Sanierungskosten verschwindend geringer Betrag.

LEADERSNET: Schimmel, Asbest, marode Elektrik – manche Mängel sind gesundheitsgefährdend. Studien zeigen, dass in 30 % der Altbauten Asbest verbaut wurde, die Sanierung kostet oft 20.000–50.000 Euro und mehr. Welche versteckten Gesundheitsrisiken finden Sie am häufigsten, und wie erkennen Laien solche Gefahren schon bei der ersten Besichtigung? Was kostet ein vermeintliches "Schnäppchen" am Ende wirklich, wenn Dämmung, Fenster, Leitungen und Heizung fällig sind?

Christoph Riedel: Letztlich ist es für Laien extrem schwierig, hier Themen zu identifizieren. Schimmel ist häufig sichtbar und olfaktorisch wahrnehmbar. Bei Schadstoffen kommt uns unsere Erfahrung zu Gute. Allerdings können auch Experten hier ohne Laborprobenentnahmen und Untersuchungen nur selten abschließende Aussage treffen. Wir sprechen dann von abstrakt oder konkret erhöhten Schadstoffrisiken und preisen diese als Risikoabschlag in den Sanierungskosten ein. Im Bereich der Gebäudetechnik werden strom- und wasserführende Leitungen ab einem Alter von 40 Jahren problematisch.

LEADERSNET: Sie warnen vor betrügerischen Anbietern auf dem Immobilienmarkt. Gibt es bestimmte Tricks oder Taktiken, die diese Anbieter häufig nutzen, um Käufer zu täuschen, und wie können sich Interessenten davor schützen?

Christoph Riedel: Eine alte Immobilie, die ihren Zustand offen zeigt, ist in der Regel eher unproblematisch, was die Seriosität der Verkäufer anbelangt. Auffällig ist es, wenn kurz vor Verkauf noch viele Maßnahmen durchgeführt wurden. Ganz klassisch ist hierbei der "Verkaufsanstrich". In der Regel hilft es auch, wenn Verkäufer und Makler ortsansässig und bekannt sind.

LEADERSNET: Ein altes Sprichwort sagt: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." Wie erkennt man als Laie überhaupt, ob ein Verkäufer oder Makler es ehrlich meint – oder einem das Blaue vom Himmel verspricht?

Christoph Riedel: Man sollte sich hier bei der Erstbesichtigung zunächst auf sein Baugefühl verlassen, sich aber sehr darüber im Klaren sein, dass die Haftung von Verkäufern und Maklern stark begrenzt ist. Insoweit ist die Zweitbegehung durch einen Bausachverständigen Pflicht, da dieser vor Ort prüft und sich nicht auf die Angaben Dritter verlässt.

LEADERSNET: Welche drei Dinge sollten Käufer immer tun, bevor sie eine gebrauchte Immobilie kaufen – egal, wie verlockend der Preis oder wie charmant der Altbau ist? Wenn Sie eine Regel auf jedes Exposé drucken dürften – was stünde drauf?

Christoph Riedel: Die Interessenten sollten sich zunächst ehrlich die Frage stellen, ob der Preis marktkonform oder zu schön um wahr zu sein ist. Das Traumhausschnäppchen ist eine Chimäre. Weiterhin sollten Interessenten vor Besichtigung eine klare Vorstellung von ihren finanziellen Möglichkeiten aber auch von der Zeit haben, die sie in eine Sanierung investieren können. Die Belastung einer Sanierung mit Zeit- und Kostendruck wird häufig unterschätzt. Zuletzt sollten die Interessenten bei Konkretisierung der Kaufabsicht fachlichen Rat in Anspruch nehmen. Letztlich würde ich keine Regel auf dem Exposé empfehlen. Vielleicht wäre aber die gesetzliche Verpflichtung der Einschaltung eines Fachkundigen vor dem Erwerb einer Bestandsimmobilie, so wie in anderen Ländern bereits üblich, ein Weg, den die Politik prüfen sollte. Wenngleich ich kein Freund von immer neuen Auflagen und Regeln am Bau bin, könnten hierdurch mitunter harte, teilweise existenzbedrohende Schicksale verhindert werden.

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