Im Interview mit LEADERSNET spricht Bonita Grupp über die Herausforderungen und Chancen des Generationenwechsels, ihre Pläne für trigema und darüber, warum sie an der Philosophie des Unternehmens festhält – und zugleich neue Wege gehen will.
LEADERSNET: Seit der Gründung von trigema im Jahre 1919 hat das Unternehmen zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise und zahlreiche Textilkrisen überstanden. Welche Lehren ziehen Sie aus dieser über 100-jährigen Geschichte für die aktuellen Herausforderungen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit?
Bonita Grupp: Wir sind auch heute nicht frei von Krisen – ganz im Gegenteil. Der Fachkräftemangel in Deutschland, politische Unsicherheiten oder zuletzt die Energiekrise betreffen uns direkt. Als Familienunternehmen mussten wir immer wieder lernen, uns schnell an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Mein Vater hat trigema über 50 Jahre durch zahlreiche Krisen geführt – von der New-Economy-Krise bis zur Eurokrise, an die ich mich als erstes erinnere.
Besonders 2022 hat uns die Energiekrise stark getroffen, da unsere Stoffherstellung sehr energieintensiv ist. Aber wir haben gelernt, flexibel zu bleiben. Während Corona haben wir zum Beispiel innerhalb von 48 Stunden auf die Produktion von Masken umgestellt. Das funktioniert, weil wir keine komplizierten Hierarchien haben, eng mit unserem Team zusammenarbeiten und alles im Umkreis von 70 Kilometer produzieren.
LEADERSNET: trigema produziert rund 78 Prozent der Wertschöpfung im eigenen Werk, lediglich das Garn wird importiert. Viele Wettbewerber haben ihre Produktion ins Ausland verlagert – daraus resultierten viele Insolvenzen. Wie bleiben Sie trotz Ihrer lokalen Produktion wettbewerbsfähig?
Bonita Grupp: Unser größter Vorteil ist unsere Flexibilität – wir produzieren komplett in Deutschland und können dadurch extrem schnell auf Kundenwünsche reagieren. Wenn ein Unternehmen spontan personalisierte Shirts für ein Event braucht, liefern wir innerhalb weniger Tage. Das wäre mit einer Produktion im Ausland unmöglich. Außerdem wissen unsere Kunden, dass wir nach deutschen und europäischen Umwelt- und Arbeitsstandards fertigen.
Nachhaltigkeit spielt eine immer größere Rolle. Unser Hauptwerk und zwei weitere Standorte in der Region ermöglichen uns kurze Transportwege und eine transparente Produktion. Und natürlich steht bei uns Qualität im Mittelpunkt – langlebige, zeitlose Produkte, die den höheren Preis rechtfertigen.
LEADERSNET: War der eigentliche strategische Zug, der für den Erfolg von trigema verantwortlich ist und Jahrzehnte zurückliegt, nicht eigentlich der Ihres Vaters – nämlich sich vom Private Label abzuwenden und stattdessen die Marke trigema stärker in den Vordergrund zu rücken?
Bonita Grupp: Absolut. Die Marke trigema wurde Ende der 1960er gegründet, aber mein Vater hat sie in den 1970ern aktiv aufgebaut. Der große Schritt war, den Vertrieb selbst in die Hand zu nehmen und nicht mehr über Händler zu verkaufen. Heute betreiben wir 44 eigene Shops in Deutschland, haben unseren Onlinevertrieb und arbeiten im B2B-Bereich – etwa für Arbeitsbekleidung. Durch diese Unabhängigkeit konnten wir dem Preisdruck aus dem Ausland entgehen. Viele No-Name-Hersteller, die auf Private Label gesetzt haben, waren diesem Druck ausgeliefert.
LEADERSNET: Die Textilindustrie war einmal stark im süddeutschen Raum vertreten. Heute ist trigema einer der letzten großen Hersteller in der Region. Sehen Sie durch die aktuelle Rückbesinnung auf europäische Lieferketten Ihr Alleinstellungsmerkmal in Gefahr?
Bonita Grupp: Im Gegenteil. Es wäre sogar wünschenswert, wenn wieder mehr Textilarbeitsplätze in Europa entstünden. Das Know-how ist hier oft nicht mehr vorhanden – wir bilden immer schon selbst aus. Während der Pandemie und Lieferkettenprobleme haben wir aber gesehen, dass unser Modell funktioniert: Wir hatten kaum Unterbrechungen, weil wir fast alles lokal beziehen. Selbst Zutaten wie Knöpfe oder Reißverschlüsse beschaffen wir, wenn möglich, aus Deutschland oder Europa. Andere konnten nicht mehr liefern – wir schon. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil.
LEADERSNET: Trotzdem kaufen viele Konsument:innen weiterhin Kleidung aus Asien. Welche Rolle spielt "Made in Germany" heute noch?
Bonita Grupp: "Made in Germany" steht für Qualität – und immer mehr auch für Nachhaltigkeit. Unsere Kunden wissen, dass unsere Produkte fair und umweltschonend hergestellt werden. Unser Ziel ist es, das nachhaltigste T-Shirt der Welt anzubieten. Und bei uns kann jede:r nachschauen, wie produziert wird. Wir bieten Betriebsführungen an und zeigen transparent, wie viel Handarbeit in jedem Stück steckt.
Fast Fashion produziert oft kurzlebige Kleidung, die schnell im Müll landet. Unsere Produkte sind langlebig, hochwertig und dadurch automatisch nachhaltiger – sie lassen sich oft sogar noch in einer zweiten Lebensphase nutzen, z. B. im Second-Hand-Markt oder als Recyclingmaterial.
LEADERSNET: Welche Rolle spielt Digitalisierung in Ihrer Branche? Und wie positioniert sich trigema im Kontext datengetriebener Geschäftsmodelle?
Bonita Grupp: Die Digitalisierung bewegt auch unsere Branche stark. Wir nutzen bereits KI-Modelle, um Modetrends schneller zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Da wir hier in Deutschland fertigen, sind wir sehr schnell in der Umsetzung – wir brauchen keine mehrmonatige Vorlaufzeit wie andere Hersteller. Auch im Design hilft uns 3D-Modellierung, um Muster virtuell zu erstellen. Das spart Ressourcen. Wir investieren zudem stark in Datenanalysen zur Optimierung unserer Produktion – insbesondere beim Energie- und Wasserverbrauch. Aktuell implementieren wir ein neues Energiemanagementsystem, um unsere Prozesse noch effizienter zu steuern.
LEADERSNET: Kürzlich wurde bekannt, dass Sie mit einem Robotikunternehmen aus Wien kooperieren. Inwiefern verändert das Ihre Produktion – und welche Rolle spielt dabei der Faktor Arbeitsplätze?
Bonita Grupp: Unser Ziel ist es nicht, Arbeitsplätze abzubauen – wir finden schlichtweg nicht genügend Arbeitskräfte. Wir stoßen aktuell an unsere Kapazitätsgrenzen, weil wir nicht genug Personal finden. Das Nähen ist besonders betroffen, da es kaum noch Fachkräfte gibt. Wenn Roboter einfache Nähschritte übernehmen, können unsere erfahrenen Näher:innen sich auf komplexere Aufgaben konzentrieren. Noch befinden sich die Nähroboter in der Testphase, aber wir setzen große Hoffnungen in diese Technologie.
LEADERSNET: Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld sagte: "Mode ist vergänglich, Stil niemals." Wie wollen Sie trigema als Marke weiterentwickeln, um sowohl zeitgemäß als auch stilprägend zu bleiben?
Bonita Grupp: Wir setzen nicht auf kurzfristige Trends, sondern auf zeitlose, langlebige Mode. Natürlich gibt es bei uns auch modische Stücke, aber im Fokus stehen nachhaltige Designs und hochwertige Stoffe. Dazu gehört auch Innovation: Wir haben das erste kompostierbare T-Shirt auf den Markt gebracht und verwenden recycelte Baumwolle. Gemeinsam mit Maschinenherstellern und Zulieferern entwickeln wir ständig weiter – bei Materialien wie auch bei den Produktionsverfahren.
LEADERSNET: Was ist Ihr langfristiges Ziel für trigema, und welche Vision haben Sie für die nächsten 10 Jahre?
Bonita Grupp: Unsere größte Aufgabe ist es, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zu vereinen. Das bedeutet: bessere, langlebigere Produkte, die den Ressourcenverbrauch senken – und dabei wirtschaftlich bleiben. Wir setzen auf Nähe zum Kunden, auf datenbasierte Entscheidungen und auf Unabhängigkeit in der Produktion. So wollen wir sicherstellen, dass unser Umsatz stabil bleibt – und trigema zukunftsfähig.
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