Power Vests statt Sakkos
Wie die Patagonia-Weste zur Dienstkleidung der Investmentbanker wurde

Investmentbanker sind bekannt für scharfe Anzüge, schnelle Deals – und seit einigen Jahren: Outdoor-Westen. Ausgerechnet die Marke Patagonia, Symbol für Umweltschutz und Abenteuerlust, hat sich in der Finanzwelt zur heimlichen Uniform entwickelt. Wie kam es dazu?

"Wir waren selbst überrascht", hat ein ehemaliger Patagonia-Manager gegenüber Business Insider eingeräumt. Warum ausgerechnet Banker, die eher Konferenzräume als Kletterwände bevölkern, zu den robusten Westen des Outdoor-Pioniers greifen, wollte ihm nicht recht einleuchten. Schließlich steht Patagonia für nachhaltige Produktion und Aktivismus, Investmentbanking dagegen für aggressive Gewinnmaximierung.

Und doch: In New Yorks Midtown-Manhattan sind Patagonia-Westen ein allgegenwärtiges Bild – so sehr, dass der Instagram-Account @midtownuniform daraus ein eigenes Genre gemacht hat. Über 170.000 Follower feiern dort Fotos von Gruppen junger Männer in Hemd, Weste und Khakis – der inoffizielle Dresscode der Branche.

 
 
 
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Ein Beitrag geteilt von Midtown Uniform (@midtownuniform)

Von der Kletterwand übers Silicon Valley aufs Börsenparkett

Die Erklärung ist zunächst banal: Klimaanlagen. In den oft eisgekühlten Büros der Wall Street sind Westen die ideale Lösung. Zu warm für ein Sakko, zu kalt fürs Hemd allein – die Weste bietet Bewegungsfreiheit und Wärme zugleich. Taschen mit Reißverschluss bieten Platz für Smartphone und Geldbörse, ohne den eleganten Look zu stören.

Aber es geht nicht nur um Funktionalität. Die Weste vermittelt auch genau die richtige Dosis Lässigkeit: seriös genug fürs Büro, aber weit entfernt von der Steifheit eines klassischen Sakkos. In einer Branche, die seit der Finanzkrise bewusst weniger elitär und nahbarer wirken möchte, trifft dieser halb-legere Stil den Nerv der Zeit. Wer Weste trägt, zeigt: Ich nehme meinen Job ernst – mich selbst aber nicht zu ernst.

Der Business-Influencer David Döbele bringt es auf den Punkt: "Die Weste ist die perfekte Antwort auf die Tücken moderner Bürowelten." Auch auf dem Weg zum Lunch oder beim Networking-Event auf der Jacht erfüllt sie ihren Zweck, so der Experte im Handelsblatt. Hauptsache nicht frieren – weder auf dem Trading Floor noch auf dem Deck der nächsten Networking-Yacht.

Die Finanzkrise veränderte den Dresscode

Aber allein praktische Überlegungen erklären nicht den Siegeszug der sogenannten Power Vests. Nach der Weltfinanzkrise 2008 wurden die strengen Dresscodes vieler Banken aufgeweicht. Anzüge und Krawatten wichen lässigeren, "menschlicheren" Outfits. Firmen begannen, Westen mit Unternehmenslogos als günstige, compliance-konforme Werbegeschenke zu verteilen. Wer eine Weste trug, zeigte Zugehörigkeit – ohne wie ein wandelndes Werbeplakat zu wirken.

Der Ursprung des Trends? Der Journalist Jacob Gallagher vermutet im Wall Street Journal: Es begann im Silicon Valley. Tech-Mitarbeiter, näher an Outdoor-Kultur und Innovation, etablierten Westen als Statussymbol der neuen Wirtschaftsmacht. Von Kalifornien aus schwappte der Trend an die Ostküste.

Patagonia zwischen Stolz und Bauchschmerzen

Patagonia selbst war der Ansturm aus der Finanzwelt nicht ganz geheuer. 2019 zog das Unternehmen Konsequenzen: Nur noch Firmen, die nachhaltige Standards erfüllten, durften ihre Logos auf Westen sticken lassen. Zwei Jahre später folgte der nächste Schritt: überhaupt keine Bestickung mehr. Zu oft landeten gebrandete Westen nach Jobwechseln im Müll – ein No-Go für eine Marke, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben hat.

Heute erlaubt Patagonia Logos wieder – unter Bedingungen. "Like-minded companies" dürfen ihre Embleme aufbringen, und wenn nötig, kann das Logo entfernt oder überstickt werden. Idealerweise, so der Wunsch von Patagonia, verzichtet man auf Logos und wählt stattdessen kleine, austauschbare Details wie Schlüsselanhänger am Reißverschluss.

Kommentar veröffentlichen

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV