"Vor der Corona-Pandemie hatten Menschen ein geringes Bewusstsein für Telemedizin, das ist jetzt anders"

"Dermanostic"-Co-Gründerin und Hautärztin Dr. Alice Martin spricht im LEADERSNET-Interview über die Entwicklung einer Gesundheits-App als Kommunikationsmittel zwischen Ärzt:innen und Patient:innen und über die neue Rolle der Telemedizin.

LEADERSNET: Woher kam die Idee Ihr Unternehmen zu gründen und in späterer Folge die Idee eine Diagnose-App zu entwickeln?

Alice Martin: Meine Freundin und Mitgründerin, Dr. Estefanía Lang, und ich haben als Hautärzt:innen häufig von Freunden, Familienmitgliedern und Freunden von Freunden Fotos von Hautproblemen über WhatsApp gesendet bekommen. Dabei haben wir bemerkt, dass wir durchaus Diagnosen stellen und eine Therapie empfehlen konnten. Aber an dieser Stelle hörte es auf, denn wir konnten kein Rezept ausstellen und benötigten zusätzlich gelegentlich noch mehr Informationen (Anamnese). Über WhatsApp war dies nicht nur umständlich, sondern weder datenschutzkonform noch ohne eine runtergerechnete BIT-Qualität der Fotos möglich. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, diese Möglichkeit der Online-Behandlung für alle Menschen zur Verfügung zu stellen. Wir gründeten mit diesem Konzept unsere Online-Hautarztpraxis Dermanostic, wo Patient:innen sich 24/7 digital behandeln lassen können.

LEADERSNET: Wie lange haben Sie für die Entwicklung Ihrer App benötigt?

Alice Martin: Die Entwicklung unserer App hat circa sechs Monate in Anspruch genommen. Sie entstand in intensiver Zusammenarbeit zwischen Ärzt:innen und Patient:innen, sodass aus sowohl der ärztlichen Perspektive eine gute Bedienbarkeit gewährleistet ist, als auch aus der Patientenperspektive eine intuitive, aber auch schlanke Funktion der App.

LEADERSNET: Wie kann ich mit Hilfe der Dermanostic-App ein Hautproblem diagnostizieren?

Alice Martin: Die App ist unser Mittel zum Zweck. Sie selbst ist ein Kommunikationstool zwischen Patient:innen und unseren Hautärzt:innen. Die digitale Hautarztpraxis wird folglich ermöglicht, indem über die App Fotos datenschutzkonform und sicher an unsere Hautfachärzte übermittelt werden. Die App ist keine Künstliche Intelligenz (KI): Echte Hautfachärzt:innen sichten alle Fotos und Fragebögen und erstellen auf dieser Grundlage einen Arztbrief und ein Privatrezept.

LEADERSNET: Sahen Sie sich, da es sich um eine Gesundheits-App handelt, mit rechtlichen Herausforderungen konfrontiert?

Alice Martin: Als Ärzt:innen kennen wir die Gesundheitsbranche sehr gut und wissen, dass es aufgrund von Gesundheitsdaten zu einer vermehrten Anforderung von rechtlichen Grundlagen kommt. Unterschätzt haben wir allerdings den zeitlichen Aufwand, der hinter all dem steckt. Nichtsdestotrotz wollten wir eine umfangreiche und langwierige TÜV-Zertifizierung durchführen und können nun stolz von uns behaupten, dass wir Deutschlands erster Teledermatologie-Anbieter sind, der sich vollständig hat zertifizieren lassen. Das haben wir insbesondere für die Patient:innen durchgeführt. Viele Kliniken und auch Praxen sind zum Beispiel dahingehend überhaupt nicht zertifiziert.

LEADERSNET: Wie viele Nutzer:innen hat Ihre App zum momentanen Zeitpunkt?

Alice Martin: Insgesamt haben wir knapp 400.000 App-Downloads und konnten über 70.000 Patient:innen durch Diagnosestellung helfen. Dies ist in 99 Prozent aller Anfragen möglich – und zwar mit einer 100-prozentigen Datenschutzsicherheit.

LEADERSNET: Gibt es eine Diagnose, die besonders häufig gestellt wird?

Alice Martin: Ja, die Akne ist bei uns die häufigste Diagnose. Insgesamt haben wir über 400 verschiedene Diagnosen gestellt. Als zweit- und dritthäufigste Diagnosen sind zum Beispiel die Neurodermitis als auch das seborrhoische Ekzem bzw. die Rosazea oder die Kuperose vertreten.

LEADERSNET: Welche Herausforderungen gibt es beim Thema Datenschutz bei einem so hochsensiblen Thema wie Gesundheit?

Alice Martin: Die größte Herausforderung ist es bei Patient:innen Verständnis dahingehend zu schaffen, dass Datenschutz über unsere Hautarzt-App möglich ist. Unser TÜV-Siegel soll helfen, denn es garantiert offiziell, dass wir von extern validiert worden sind. Beispielsweise haben wir professionelle Hacker im Rahmen eines sogenannten Pen-Tests (Penetrationstest) engagiert, die versucht haben uns zu hacken. Es war ihnen trotz ausreichender Information nicht möglich in unser System einzugreifen. Das ist für uns ein sehr wichtiger Meilenstein – auch zu wissen, dass wir schon seit Beginn so datenschutzkonform gearbeitet haben.

LEADERSNET: In welcher Form haben Sie vor weitere Veränderungen an der App vorzunehmen?

Alice Martin: In der App gibt es nicht nur die Möglichkeit Bilder hochzuladen und sogenannte Fälle zu erstellen, sondern auch, dass man auf das Haut- und Wirkstofflexikon zugreifen kann. Wir werden aber noch viel mehr Funktionen vornehmen und freuen uns darauf, dies in der Zukunft verkünden zu dürfen.

LEADERSNET: Gab es bei Ihrer App auch schon Fehldiagnosen?

Alice Martin: Fehldiagnosen können sowohl vor Ort als auch digital entstehen, häufig aufgrund der Tatsache, dass Informationen fehlen. Um dies zu reduzieren, machen wir eine sogenannte Nachsorge. Das bedeutet, dass Patient:innen in einem Zeitraum von zwei bis Wochen nach Diagnosestellung von unserem medizinischen Team telefonisch kontaktiert werden; wir fragen aktiv, ob sich ihr Zustand beispielsweise verschlechtert hat. Auch stellen wir in jedem Arztbrief schriftlich eine Prognose der Besserung in Aussicht und bitten die Patient:innen sich zu melden, sofern es nicht zu einer Besserung kommt. Dadurch haben wir ein sehr niedriges Profil für Fehldiagnosen.

LEADERSNET: Sind Fälle aufgetreten in denen Nutzer:innen der App diese als Ersatz zu einem Besuch bei einem Hautarzt gesehen haben?

Alice Martin: Ja und nein. Häufig nutzen Patient:innen uns, wenn sie zum Beispiel im Ausland oder im Urlaub sind. Auch an Wochenenden und Feiertagen steigt die Nachfrage. In diesen Fällen sind wir ein Ersatz – wir sehen uns gerne als Alternative und Ergänzung, da wir Hautärzt:innen vor Ort so unterstützen und entlasten. Viele Patient:innen hätten beispielsweise nie derartig schnell einen Hautarzttermin vor Ort bekommen, da die Hautärzt:innen stark überlaufen sind.

LEADERSNET: Welche Rolle hat die Corona-Krise, Ihrer Meinung nach, in der Telemedizin gespielt?

Alice Martin: Vor der Corona-Pandemie hatten viele Menschen ein geringes Bewusstsein für Telemedizin. Das ist heutzutage anders und wird sich auch in den nächsten Jahrzehnten weiter etablieren und ausbauen.

LEADERSNET: Mit welchen Herausforderungen war Ihr Ärzteteam im Zuge der Telemedizin konfrontiert?

Alice Martin: Unser Ärzt:innenteam hat festgestellt, dass eine digitale Behandlung vollkommen anders ist als eine Behandlung vor Ort. Dementsprechend sind unsere Ärzt:innen sehr gut geschult, um auf Grundlage von Bildern und Fragen die richtige Diagnose zu stellen. Auch digitale Empathie wird trainiert. Beispielsweise schauen wir uns in den Freitext-Kommentaren unserer Patient:innen an, welche Untertöne in den Sätzen zu erkennen sind. So verstehen wir, wie wir zusätzlich anderweitig auf den Patient:innen eingehen können. Weiterhin schauen wir auf den Bildern, wie der Zustand der Haut ist. Daran merken wir, ob eine gute Pflege durchgeführt wird. Das bedeutet, dass wir ganzheitlich mit unseren Patient:innen arbeiten möchten.

LEADERSNET: Welche Rolle spielen Social-Media-Plattformen, wie beispielsweise Instagram, für Ihr Unternehmen?

Alice Martin: Social Media ist für uns unglaublich wichtig, da wir nicht nur in der Behandlung, sondern auch in der Prävention und Aufklärung tätig sein wollen. Unsere Kanäle, wie TikTok und Instagram, haben zusammen über 200.000 Follower:innen. Wir erklären dort aktiv, worum es bei verschiedenen Erkrankungen geht.

LEADERSNET: Warum haben Sie sich dazu entschieden zusätzlich Hautlexika auf der Website zu führen?

Alice Martin: Unsere Hautarztbriefe sind sehr umfangreich, dennoch wollen wir den Arztbrief schlank halten und unsere Patient:innen nicht mit Informationen erschlagen. Aus diesem Grund haben wir separat ein Hautlexikon, in dem noch einmal detaillierte Informationen zur Verfügung gestellt werden. Diese sind aus ärztlicher Sicht in Patientensprache verfasst und halten mithilfe von Bildern und auch Videos die die unterschiedlichen Erkrankungen fest.

LEADERSNET: Wie sehen Ihre unternehmerischen Pläne für die Zukunft aus?

Alice Martin: Wir haben die App bereits in mehreren Sprachen zur Verfügung gestellt. Auch unsere Ärzt:innen sind dahingehend geschult, dass wir in mehreren Sprachen und aus mehreren Ländern von Patient*innen Bilder zugesendet bekommen. Unser Ziel ist es letztendlich jedem Menschen weltweit eine dermatologische Behandlung durch einen Hautfacharzt 24/7 orts- und zeitflexibel zu ermöglichen. Wir freuen uns sehr seit vergangenem Jahr inneuropäisch behandeln zu können. Unsere Zukunft ist es die Digitalisierung der Dermatologie in anderen Ländern weiter nach vorne zu bringen. (tk)

www.dermanostic.com

Über Alice Martin

Dr. med. Alice Martin ist Hautärztin in Weiterbildung und Mitgründerin der Online- Hautarztpraxis Dermanostic.Ihre Facharztausbildung hat sie an der Hautklinik der Universitätsklinik Düsseldorf begonnen und am Helios Universitätsklinikum Wuppertal fortgeführt. Bei Dermanostic ist für die Kommunikation und die fachliche Redaktion zuständig. Im Bereich "Digital Health" tritt sie als Speakerin auf.

Vor Dermanostic hat sie mit der Mitgründerin der Online-Hautarztpraxis, Dr. med. Estefanía Lang, bereits Medi-Login, eine internationale Plattform zur medizinischen Weiterbildung, gegründet. Das Unternehmen bietet Ärzten zertifizierte Onlinekurse an, die in Kooperation mit international renommierten Professoren erstellt werden. Zusätzlich betreiben die beiden Dermanostic-Gründerinnen einen dermatologischen Podcast bei Spotify und iTunes.

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

Über Alice Martin

Dr. med. Alice Martin ist Hautärztin in Weiterbildung und Mitgründerin der Online- Hautarztpraxis Dermanostic.Ihre Facharztausbildung hat sie an der Hautklinik der Universitätsklinik Düsseldorf begonnen und am Helios Universitätsklinikum Wuppertal fortgeführt. Bei Dermanostic ist für die Kommunikation und die fachliche Redaktion zuständig. Im Bereich "Digital Health" tritt sie als Speakerin auf.

Vor Dermanostic hat sie mit der Mitgründerin der Online-Hautarztpraxis, Dr. med. Estefanía Lang, bereits Medi-Login, eine internationale Plattform zur medizinischen Weiterbildung, gegründet. Das Unternehmen bietet Ärzten zertifizierte Onlinekurse an, die in Kooperation mit international renommierten Professoren erstellt werden. Zusätzlich betreiben die beiden Dermanostic-Gründerinnen einen dermatologischen Podcast bei Spotify und iTunes.

leadersnet.TV