Wo es zwischen jungen Talenten und Top-Managern von heute knirscht

Bei den Führungskräften herrscht Skepsis, dass der Nachwuchs wirklich politische und wirtschaftliche Verantwortung übernehmen will. Das sehen die Jungen freilich anders.

Die Menschheit steht vor großen Herausforderungen bei der Gestaltung der Zukunft, deren Auswirkung vor allem die jüngeren Generationen ganz besonders betreffen wird. Bei den Top-Manager:innen von heute herrscht aber Skepsis, dass der Nachwuchs wirklich politische und wirtschaftliche Verantwortung übernehmen will. Das sehen junge Top-Talente deutlich anders. Auch in der Frage, wer wem zu viele Opfer bei gesellschaftlichen Herausforderungen abverlangt, sind sie sich uneinig. Zwischen den Generationen scheint es zu knirschen.

Einige Klüfte, viele gemeinsame Ziele

Ein genauerer Blick auf die Perspektiven der Führungskräfte von heute und morgen zeichnet jedoch ein differenziertes Bild: Es gibt zwar Klüfte zwischen den Generationen, aber auch viele gemeinsame Ziele und Prioritäten, auf denen die generationenübergreifende Zusammenarbeit zur Bewältigung wichtiger Herausforderungen aufbauen kann. Dies zeigt die diesjährige Studie "Voices of the Leaders of Tomorrow" des Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM) und des St. Gallen Symposiums.

Um dem generationenübergreifenden Diskurs Rechnung zu tragen, wurden neben über 680 Nachwuchsführungskräften, Top-Talenten und Start-up-Unternehmer:innen aus dem Netzwerk des St. Gallen Symposiums ("Leaders of Tomorrow") auch 300 Top-Manager:innen ("Leaders of Today") aus den 2.000 größten börsennotierten globalen Unternehmen befragt. Die Fragen, die gestellt wurden: Wie stehen die Chancen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Generationen? Welche Herausforderungen sollten mit höchster Priorität angegangen werden? Und wie steht es um den Transfer von Verantwortung und Entscheidungskompetenz? 

Diese Themen einen die Generationen

Generell bekunden beide Gruppen ihr Vertrauen, dass eine generationenübergreifende Zusammenarbeit gelingen kann: 65 Prozent der jungen Top-Talente und 77 Prozent der Manager:innen von heute sehen gute Erfolgschancen für den Dialog der Generationen. Auch in der Wahrnehmung der drängendsten Themen und Herausforderungen unserer Zeit stimmen die älteren und die jüngeren Leaders in wichtigen Punkten überein – wenngleich die Dringlichkeit unterschiedlich stark empfunden wird: Die Klimakrise, die Zukunft des Bildungswesens und die Gesundheitsversorgung sind gemeinsame Themen auf der generationsübergreifenden Agenda.

Die Lösung der Klimakrise sehen 88 Prozent der jungen Top-Talente und 61 Prozent der älteren Führungskräfte als dringendes oder sehr dringendes Handlungsfeld an. Auch die Zukunft der Bildung wird bei den generationsübergreifenden Themen von 76 Prozent der jungen Leader und 64 Prozent der heutigen Führungskräfte als dringend bewertet. Ebenso sehen beim Thema Gesundheit drei Viertel (74 Prozent) der jungen Top-Talente und fast zwei Drittel (62 Prozent) der Top-Manager:innen eine (sehr) hohe Dringlichkeit.

Zusätzlich zeigen sich auch bei der Frage nach den persönlichen Sorgen Gemeinsamkeiten. Beide Gruppen sehen eine große Gefahr darin, dass die zunehmende politische und kulturelle Polarisierung den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft weiter untergräbt.

Und diese Themen spalten die Generationen

Auch gibt es konkrete Themen, bei denen noch mehr Verständigung notwendig ist. Dies betrifft vor allen Dingen wichtige Interessen junger Menschen, die momentan offenbar noch nicht sehr weit oben auf der Agenda der älteren zu stehen scheinen: Wirtschaftliche bzw. finanzielle Ungleichheit wird von den jungen Leadern – anders als von den erfahrenen – als äußerst wichtig eingestuft. Und auch die Zukunft der Rentensysteme und die Zukunft der Arbeit stehen bei ihnen weit oben auf der Liste der dringlichen Herausforderungen.

Die Staatsausgaben und neue Technologien stellen dagegen für aktuelle Führungskräfte Topthemen dar. Der Führungsnachwuchs teilt prinzipiell die Einschätzung, dass dies dringend zu lösende Fragen sind. Doch in ihrem Gesamtranking nehmen sie keinen besonders hohen Platz ein. Denn das Ausmaß der empfundenen Dringlichkeit – das heißt der Zeitdruck – den sie bei notwendigen Veränderungen sehen, ist bei den meisten genannten Themen deutlich höher als bei den älteren. Große Unterschiede gibt es auch bei den persönlichen Sorgen: Die älteren Führungskräfte sehen die Unkontrollierbarkeit von künstlicher Intelligenz als große Gefahr. Die jungen Top-Talente teilen diese Sorge nicht.

"Wir werden auf der Grundlage dieser Studienergebnisse den generationenübergreifenden Dialog zum Thema Generationengerechtigkeit noch stärker forcieren", sagt Felix Rüdiger vom St. Gallen Symposium.

Braucht es eine Jugend-Quote?

57 Prozent der Nachwuchskräfte geben an, dass die ältere Generation von ihnen zu viele Opfer erwartet. Umgekehrt sagen 50 Prozent der befragten Top-Manager:innen, dass die junge Generation von ihnen zu viele Opfer verlangt. Große Teile beider Gruppen sehen sich also von der jeweils anderen Generation als "unfair" behandelt – obwohl nur die ältere Generation momentan klar die Entscheidungspositionen in Wirtschaft und Politik innehat.

In Sachen Verantwortungsübernahme scheint es zwischen den Generationen auch zu knirschen: Ein Großteil der heutigen Führungskräfte sagt, dass es der jungen Generation an Bereitschaft zur Übernahme von politischer und wirtschaftlicher Verantwortung mangelt. Doch nur rund ein Drittel der jungen Top-Talente meint, dass dies zutrifft.

"Beide Generationen sollten ihre eigene Position auf den Prüfstand stellen, um die Übertragung von mehr Entscheidungskompetenz auf die nachfolgende Generation in die Wege zu leiten", meint Claudia Gaspar, Studienleiterin beim NIM. Denn die Zahlen zeigen: Eine Beteiligung der jungen Generation an Entscheidungen ist auch von der heutigen Führungsspitze durchaus gewünscht. Die Manager von heute stimmen mit der jungen Generation überein, dass eine stärkere Beteiligung junger Menschen an wichtigen Entscheidungen notwendig ist, um die Qualität von Institutionen sicherzustellen. Dem stimmen immerhin 63 Prozent der aktuellen und 82 Prozent der zukünftigen Führungskräfte zu. 66 Prozent der heutigen und 59 Prozent der zukünftigen Führungskräfte halten sogar verpflichtende Quoten in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien für notwendig. Offenbar glauben beide Gruppen, dass die Beteiligung der jungen Generation auch durch formale Regeln sichergestellt werden muss. (as)

www.symposium.org

www.nim.org

Über die Studie

Befragt wurden für die Studie "Passing on the Baton? Transfer of Decision-making, Priorities and Collaboration across Generations of Leaders" 683 Nachwuchsführungskräfte, Top-Talente und Start-up-Unternehmer:innen aus 81 Ländern aus dem Netzwerk des St. Gallen Symposiums.

Von den befragten 300 "Leaders of Today" verfügen mehr als 83 Prozent über mehr als zehn Jahre Berufserfahrung und arbeiten als Senior Vice President oder höher bei den 2.000 größten börsennotierten globalen Unternehmen. Die Befragung der beiden Gruppen ermöglicht ein einzigartiges Stimmungsbild der aktuellen und zukünftigen globalen Führungselite (ohne Anspruch auf Repräsentativität).

Hinweis: Die Studie wurde im Februar 2022 abgeschlossen. Mögliche Veränderungen im Stimmungsbild durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine konnten daher nicht gemessen werden.

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Über die Studie

Befragt wurden für die Studie "Passing on the Baton? Transfer of Decision-making, Priorities and Collaboration across Generations of Leaders" 683 Nachwuchsführungskräfte, Top-Talente und Start-up-Unternehmer:innen aus 81 Ländern aus dem Netzwerk des St. Gallen Symposiums.

Von den befragten 300 "Leaders of Today" verfügen mehr als 83 Prozent über mehr als zehn Jahre Berufserfahrung und arbeiten als Senior Vice President oder höher bei den 2.000 größten börsennotierten globalen Unternehmen. Die Befragung der beiden Gruppen ermöglicht ein einzigartiges Stimmungsbild der aktuellen und zukünftigen globalen Führungselite (ohne Anspruch auf Repräsentativität).

Hinweis: Die Studie wurde im Februar 2022 abgeschlossen. Mögliche Veränderungen im Stimmungsbild durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine konnten daher nicht gemessen werden.

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