Interview mit dem CEO Media bei dentsu
Georg Berzbach: "Für den deutschen Werbemarkt wird 2024 ein sehr entscheidendes Jahr"

| Bernhard Führer 
| 18.04.2024

Zwei Mal im Jahr blickt das Agenturnetzwerk dentsu mit seinem “Ad Spend Report“ gespannt auf den Werbemarkt. Anfang des Jahres hieß es, die globalen Werbeausgaben steigen und die Entwicklungen in Deutschland für 2024 würden Entscheidungsträger optimistisch stimmen. Bleibt es im zweiten Quartal bei dieser Prognose?

Und welche Strategien werden Unternehmen in Deutschland angesichts der prognostizierten Entwicklung empfohlen? LEADERSNET hat Georg Berzbach, CEO Media dentsu Deutschland & DACH, zum Interview getroffen.

LEADERSNET: Erzählen Sie uns zum Einstieg gerne etwas zu Ihrem Hintergrund: Wie sind Sie aufgewachsen? Wie haben Ihre Kindheit und Ihr Aufwachsen Ihren Weg als CEO einer der größten Werbeagenturen Deutschlands beeinflusst?

Berzbach: Wenn man sich meine Kindheit, mein Elternhaus und meine privaten Interessen anschaut, dann finden sich definitiv keinerlei Hinweise auf meinen beruflichen Werdegang. So bin ich in einem Beamtenhaushalt aufgewachsen, habe immer sehr ländlich gewohnt und interessiere mich seit meiner Jugend für Motorräder. Viele meiner damaligen Freunde begannen nach dem Abitur ein Ingenieur-Studium - hätte ich auch gerne gemacht. Ich wusste allerdings, dass ich ein solches Studium aufgrund meiner fehlenden naturwissenschaftlichen Talente niemals erfolgreich absolvieren würde.

Vor diesem Hintergrund habe ich mich für ein wirtschaftswissenschaftliches Studium entschieden. Aufgrund diverser Zufälle habe ich dann während des Studiums verschiedene Praktika in Media-Agenturen gemacht. Mein Berufswunsch “Mediaplaner“ stand für mich dann bereits während des Studiums fest. Privat bin ich jedoch noch immer einer, bei dem keiner vermuten würde, dass ich bei einer der größten Kommunikationsagenturen der Welt arbeite. Ich wohne auf einem Bauernhof mit vielen Tieren, laufe in meiner Freizeit am liebsten in Arbeitsklamotten herum und schraube nach wie vor sehr gerne an Motorrädern (teilweise mit nur mäßigem Erfolg).

LEADERSNET: Wie schätzen Sie den deutschen und europäischen Werbemarkt angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheiten durch Krieg, Inflation und sinkender Konsumbereitschaft ein?

Berzbach: Für den deutschen Werbemarkt wird 2024 ein sehr entscheidendes Jahr. Nach dem rückläufigen Jahr 2022 und dem verhaltenen 2023 ruht nun viel Hoffnung auf 2024. Denn der deutsche Werbemarkt hat nach wie vor viel Aufholbedarf im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarländern. Während in vielen der europäischen Nachbarländer trotz aller Krisen der Werbemarkt brummt, so hinkt Deutschland hinterher. Dies korreliert unzweifelhaft sowohl mit den BIP-Entwicklungen und -Prognosen als auch mit dem allgemeinen Konsumklima.

Ich möchte hier nicht wieder auf den “Sick Man of Europe“ zu sprechen kommen. Aber die neuerlich abgesenkte Wachstumsprognose von gerade mal 0,2 Prozent (inflationsbereinigt) und das nach wie vor gedämpfte Konsumklima scheinen aktuell jedoch nicht die besten Voraussetzungen für übermäßiges Werbewachstum. Allerdings: In den ersten Monaten 2024 sehen wir eine überraschend positive Werbemarktentwicklung über nahezu alle Mediagattungen.

Selbst das von vielen schon totgesagte lineare TV wartet mit einem starken Wachstum auf. Nicht verwunderlich nach den letzten Jahren der Spending-Zurückhaltung, denn die Brand Health Tracker von einigen Kunden zeigen zurückgehende Werte. Es muss also wieder in Image und Marke investiert werden. Vor diesem Hintergrund sehen wir aktuell auch ein höheres Werbemarktwachstum als 1,8 Prozent für den deutschen Markt (unsere letzte Werbemarktprognose ging von 1,8 Prozent Wachstum aus). 

Allerdings müssen wir auch die aktuelle Lage mit einbeziehen - der Angriff des Irans auf Israel verschärft weiter die Lage im Nahost und bringt die Gefahr mit sich, dass sich der Krieg ausweitet. Dies kann zu neuerlichen Spendingzurückhaltungen seitens der Kunden kommen - falls es zu einem Konsumeinbruch kommt - und könnte somit das zweite Halbjahr betreffen.

LEADERSNET: Welche Strategien empfehlen Sie Unternehmen in Deutschland angesichts der prognostizierten Entwicklung der Werbeausgaben für das restliche Jahr 2024?

Berzbach: Das lässt sich pauschal sehr schwer beantworten. Die übliche Empfehlung des antizyklischen Werbeverhaltens werden Sie von mir nicht hören, da mir sehr bewusst ist, in welch finanziellem Korsett die CEOs der Unternehmen agieren müssen. Der Ratschlag nach antizyklischen Werbespendings scheint mir daher recht naiv.

Was mir aber angesichts der immer weiter steigenden Bedeutung von E-Commerce, Social Commerce und Shoppertainment wichtig scheint: Es gibt schon lange nicht mehr die “eine“ Customer Journey mit den entsprechenden Upper- und Lower Funnel Aktivierungen. Es gibt heute – je nach Warengruppe und Zielgruppe - völlig unterschiedliche Customer Journeys, bei denen Konsumenten einzelne Stufen einfach überspringen und selbst bei hochwertigen Gütern spontan kaufen. Daher müssen Kampagnen sowohl bei den Werbemitteln als auch bei den Aktivierungsmaßnahmen immer “ready to convert“ konzipiert werden. Wir beobachten leider bei vielen Kunden, dass hier noch zu konservativ geplant wird, was dann mit entgangenen Umsätzen gleichbedeutend ist.

LEADERSNET: Das Unternehmen dentsu hat japanische Wurzeln. Was unterscheidet die japanische Gesellschaft im Hinblick auf Kultur und Mentalität zu Deutschland? Welche Unterschiede gibt es hier im Hinblick auf das Marketing?

Berzbach: Die japanische Kultur und damit auch das Marketing als Teil der Kultur agiert sehr langfristorientiert. Alle Entscheidungen werden äußerst sorgfältig vorbereitet. Dazu zählen sehr viele Detailanalysen und Gespräche mit den unterschiedlichsten Interessensgruppen und Stakeholdern. Die Gespräche werden immer sehr respektvoll geführt. Dabei ist es für einen Europäer teilweise gar nicht so einfach, die Essenz des Gesprächs herauszufiltern. So gibt es kein direktes “nein“, sondern alles ist stark kontextgebunden.

Wir als Europäer beschäftigen uns gerne mit weniger Details, sind direkter und schneller. Allerdings auch wankelmütiger. Steht eine Entscheidung in Japan, dann steht sie erstmal. Wir Europäer revidieren oder neudeutsch “adjusten“ hier viel schneller.  Das heißt natürlich nicht, dass es keine Jahresziele oder Ähnliches gibt. Allerdings sind diese Ziele nie reiner Selbstzweck, sondern immer Etappen zur Erreichung eines übergeordneten Ziels.

LEADERSNET: Wie fördert dentsu die Zusammenarbeit zwischen seinen verschiedenen Marken und Agenturen?

Berzbach: Dentsu verfügt über drei große Geschäftsbereiche: Media, CXM und Kreation. Mit diesen drei Angeboten bieten wir unseren Kunden Lösungen für viele Marketingprobleme. Wenn die unterschiedlichen Ansprechpartner auf Kundenseite und unsere drei Geschäftsbereiche gemeinsam an einer Problemstellung arbeiten, entsteht der größte Mehrwert. Das ist heutzutage aber nicht immer der Fall. Daher tun wir sehr viel dafür, dass übergreifendes Arbeiten zur Normalität wird.

Mit der Einführung von “Integrated Client Leads (ICLs)“ bündeln wir die übergreifende Verantwortung für eine Kundenbeziehung über das gesamte dentsu-Portfolio hinweg in einer Person. Damit stellen wir das Kundeninteresse auch organisatorisch in den Mittelpunkt. Zusätzlich werden die ICLs von einem Expertenteam unterstützt, das ihnen dabei hilft, für jede Aufgabenstellung die passende Lösung zu finden und zu bauen. Unsere Trainings und Fallstudien, aber auch die Tatsache, dass es nur eine Gewinn- und Verlustrechnung (P&L) gibt, fördern diese Kultur der Kollaboration. Auch in unseren Büros setzen wir auf moderne Konzepte mit Fokus auf Gemeinschaftsarbeitsflächen.

LEADERSNET: KI und Algorithmen erstellen mittlerweile Kampagnenbilder ganz ohne Shooting. Werbeplätze werden immer häufiger automatisiert gehandelt. Werden künftig weniger Mitarbeiter in der Werbebrache notwendig sein?

Berzbach: Ja, das wird wahrscheinlich so sein. Ich glaube allerdings, dass Ihre so gestellte Frage nur die Spitze des Eisbergs streift. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns in fünf Jahren in einer stark gewandelten Lebens- und Arbeitswelt wiederfinden werden. Die Frage, ob es möglicherweise weniger Mitarbeiter in der Werbebranche gibt, wird uns vermutlich sehr kleinteilig vorkommen. Ich gehe von weitaus größeren Veränderungen aus und vergleiche KI immer gerne mit den Anfängen der Digitalisierung. Mit einem großen Unterschied: Während die Anfänge der Digitalisierung recht langsam waren, wird KI in Quantensprüngen passieren.

LEADERSNET: Was ist der beste Ratschlag, den Sie für Ihre berufliche Laufbahn und Ihr Leben je erhalten haben?

Berzbach: “Überlege dir, was du für das Unternehmen tun kannst, bevor du fragst, was das Unternehmen für dich tut. “Das hat mir in frühen Jahren mal ein sehr erfahrener Agenturchef gesagt. Ich habe es in meinem ganzen Leben befolgt und lag offenbar nicht ganz falsch damit. Klingt in der heutigen Arbeitswelt vermutlich “old school“. Halte ich dennoch für richtig und schließt auch nicht aus, dass die Unternehmen sich mehr denn je und viel intensiver um ihre Mitarbeitenden kümmern müssen. Ich möchte noch Folgendes hinzufügen: Man kann obige Einstellung nur dann ernsthaft verfolgen, wenn man eine gehörige Portion Spaß an seinem Job hat. Der Rest kommt dann von ganz allein...

LEADERSNET: Und was ist die wichtigste Lektion, die Sie aus all dem gelernt haben?

Berzbach: Auf den eigenen Bauch zu hören. In der Regel sagt der eigene Bauch recht zuverlässig, ob der Spaß noch da ist oder ob man sich eher quält. Wenn man dann feststellt, dass man sich quält, dann muss gehandelt werden. Hier hilft dann ganz häufig ein klärendes Gespräch mit dem Vorgesetzten. Diesen Mut sollte jeder aufbringen.

LEADERSNET: Haben Sie einen Traum, den Sie sich gerne einmal erfüllen würden?

Berzbach: Ich möchte einmal mit dem Motorrad zur “Isle of Man“, um mir die legendären “Isle of Man TT-Rennen“ live anzuschauen.

LEADERSNET: Wenn Sie nicht gerade Ihr Unternehmen leiten oder sich mit Marketing-Agenden befassen, was machen Sie sonst in Ihrer Freizeit? Wo tanken Sie Energie?

Berzbach: Meine Freizeit verbringe ich zum allergrößten Teil auf unserem Bauernhof, den meine Frau und ich vor sechs Jahren gekauft haben. Das Renovieren und Umbauen ist ein wohltuender Ausgleich zum hektischen Agenturalltag. Morgens in den Blaumann und abends zufrieden auf das schauen, was wir mit den eigenen Händen geschaffen haben. Es gibt kaum einen größeren Kontrast zum KPI-Management meines Berufes. Zusätzlich bin ich jedes Jahr für ein paar Tage mit dem Motorrad auf verschiedenen Rennstrecken unterwegs. Auf diesen sogenannten “Track Days“ sprechen meine Freunde und ich tatsächlich über alles Mögliche - außer über den Beruf…

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