Mobilitätswende wird durch Klima, Kosten und Corona vorangetrieben

Der große Gewinner ist das Fahrrad – Wachsende Bereitschaft zur Nutzung von autonomen Verkehrsmitteln.

Steigende Energiepreise, die Corona-Pandemie, das 9-Euro-Ticket und die Klimakrise verändern das Mobilitätsverhalten so stark wie nie zuvor. Dabei wird neuen Mobilitätsangeboten wie Ride Pooling, Ride Hailing und den verschiedenen Sharing-Angeboten vom Fahrrad über E-Scooter und E-Moped bis zum Carsharing zugesprochen, Ressourcen zu schonen und zugleich kostengünstiger zu sein als klassische Mobilitätsformen. Auch die Bereitschaft zur Nutzung autonomer Verkehrsmittel steigt – wobei die große Mehrheit für die nahe Zukunft nicht mit einem entsprechenden Angebot rechnet.

Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom unter 1.005 Personen ab 16 Jahren in Deutschland. "In der Mobilität erleben wir eine Zeitenwende, die diesen Begriff verdient", sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. "Die Menschen steigen aufs Rad oder ersetzen den eigenen Wagen durch Carsharing. Mit Hilfe digitaler Technologien in der Verkehrsinfrastruktur und bei neuen Mobilitätsangeboten haben wir die Chance, jetzt die Weichen für eine nachhaltigere Mobilität zu stellen, die für die Breite der Bevölkerung verfügbar und bezahlbar ist."

Praktisch jeder hat sein Mobilitätsverhalten grundlegend verändert

96 Prozent geben an, in den letzten Jahren ihr Mobilitätsverhalten grundlegend verändert zu haben – aus sehr unterschiedlichen Gründen. Rund die Hälfte (55 Prozent) nennt die Klimakrise als Grund, jeweils 4 von 10 (41 Prozent) das 9-Euro-Ticket sowie den gestiegenen Benzinpreis und 30 Prozent die Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus. 17 Prozent haben ihr Mobilitätsverhalten aufgrund des Chaos an den Flughäfen verändert, 16 Prozent wegen der häufigeren Arbeit im Home-Office, 13 Prozent aufgrund der Unzuverlässigkeit im Bahnverkehr und sieben Prozent wegen des Wegfalls von Dienstreisen. "Klima, Corona und Kosten – aus diesen drei Gründen verändern die Menschen ihr Mobilitätsverhalten", so Rohleder.

Der große Gewinner der Mobilitätswende ist das Fahrrad. 39 Prozent nutzen das Fahrrad häufiger, 16 Prozent seltener. Ein Viertel (25 Prozent) setzt häufiger auf sogenannte On-Demand-Angebote wie Ride Pooling oder Ride Hailing, 14 Prozent aber auch weniger oft. Der eigene Pkw wird von 22 Prozent häufiger genutzt, 36 Prozent lassen ihn aber öfter stehen. Ebenfalls 22 Prozent fahren häufiger Bus und Bahn im Nahverkehr, 37 Prozent aber seltener. Carsharing wird von 20 Prozent häufiger genutzt, von 14 Prozent seltener. Und Bike-, E-Scooter- und Moped-Sharing ist bei 14 Prozent beliebter, bei 15 Prozent weniger beliebt als früher.

Die großen Verlierer sind der Schienenfernverkehr, das Taxi und das Flugzeug. 10 Prozent fahren häufiger im Fernverkehr mit der Bahn, 35 Prozent tun dies seltener. Lediglich 2 Prozent steigen häufiger ins Taxi, 46 Prozent aber seltener. Im Flugverkehr ist das Bild noch klarer: 2 Prozent nutzen häufiger das Flugzeug 75 Prozent tun dies seltener.

Zwei Drittel könnten auf Pkw verzichten

Mit den bestehenden Nahverkehrsangeboten ist eine Mehrheit unzufrieden. 55 Prozent sagen, sie seien sehr oder eher unzufrieden, 43 Prozent sind eher oder sehr zufrieden. Damit nimmt die Kritik am ÖPNV verglichen mit dem Vorjahr weiter zu. 2021 standen 48 Prozent Zufriedene 49 Prozent Unzufriedenen gegenüberstanden. Dabei gilt: In Großstädten ist die Unzufriedenheit aktuell mit 44 Prozent am geringsten, in Städten mit 20.000 bis 100.000 Einwohner liegt sie bei 56 Prozent und in kleineren Orten sogar bei 62 Prozent. "Der klassische ÖPNV kommt in dünn besiedelten Regionen an seine Grenzen", so Rohleder. "Neue Mobilitätsdienste können hier den ÖPNV ergänzen und zugleich attraktiver machen."

Neue Mobilitätsangebote würden vielen Menschen auch den Abschied vom eigenen Pkw erleichtern. Unter denjenigen, die ein Auto im Haushalt haben, würden 40 Prozent darauf verzichten, wenn andere Mobilitätsangebote zur Verfügung stünden, 32 Prozent, wenn die bestehenden Mobilitätsangebote günstiger wären. Rund ein Viertel (24 Prozent) könnte das eigene Auto aufgeben, falls attraktive Sharing-Angebote in der direkten Umgebung vorhanden wären, bei 14 Prozent gilt dies bei der Verfügbarkeit von On-Demand-Angeboten.

22 Prozent nennen als Voraussetzung für den Abschied vom Privat-Pkw, dass Bahnhöfe durch Sharing- oder On-Demand-Angebote erreichbar wären, für sieben Prozent käme es in Frage, wenn ihnen der Arbeitgeber ein Mobilitätsbudget anbieten würde. Verbote schrecken dagegen weniger ab. Nur zwölf Prozent würden auf das eigene Auto verzichten, falls Parken vor der Haustür teurer oder verboten würde, neun Prozent, falls es ein Autoverbot in der Innenstadt gäbe. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) würde unter keinen Umständen auf den Privat-Pkw verzichten wollen.

Neue Mobilitätsangebote als Antwort auf aktuelle Krisen

Die große Mehrheit sieht in neuen Mobilitätsangeboten eine Chance, die aktuellen Herausforderungen zu meistern. 89 Prozent sind überzeugt, dass mit ihnen die Lebensqualität auf dem Land erhöht werden kann. 82 Prozent glauben, dass ihre Nutzung ein Beitrag zum Klimaschutz ist und 79 Prozent meinen, dass digitale Technologien allgemein einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Ebenso viele (79 Prozent) betonen, dass Fahrgäste mit neuen Mobilitätsangeboten für weniger Geld von A nach B kommen. 63 Prozent gehen davon aus, dass neue Mobilitätsangebote den ÖPNV attraktiver machen, weil der Weg zu den Stationen flexibler bewältigt werden kann. Und 58 Prozent sagen, neue Mobilitätsangebote reduzieren den Verkehr in der Stadt.

Angebote wie Ride Pooling und Ride Hailing genießen in der Bevölkerung einen guten Ruf. So stehen dem Ride Pooling, bei dem per Algorithmus automatisch Fahrgemeinschaften von Fahrgästen gebildet werden, die ein ähnliches Ziel haben, 83 positiv gegenüber (35 Prozent sehr positiv, 48 Prozent eher positiv). Beim Ride Hailing, bei den Fahrgästen über eine App ein Auto mit professionellem Fahrer ähnlich wie bei einer Taxifahrt buchen und die Fahrt exklusiv für sich haben, sind 71 Prozent positiv eingestellt (23 Prozent sehr positiv, 48 Prozent eher positiv). Rohleder: "In der Vergangenheit gab es viele Versuche etablierter Anbieter wie der Taxi-Innungen, neuen Angeboten Steine in den Weg zu legen. Am Interesse der Kundinnen und Kunden geht dies allerdings ganz offensichtlich vorbei."

Sharing spart Geld und schützt die Umwelt

Überwiegend positiv werden auch die unterschiedlichen Sharing-Angebote eingeschätzt. 86 Prozent sehen in ihnen eine umweltfreundliche Alternative zu bestehenden Angeboten (2021: 79 Prozent). Nur acht Prozent (2021: elf Prozent) befürchten, dass sie für mehr Verkehr sorgen und die Umwelt belasten. 80 Prozent gehen davon aus, dass sich so Geld sparen lässt (2021: 73 Prozent), zehn Prozent befürchten, dass die Angebote dazu verleiten, mehr Geld auszugeben (2021: 22 Prozent). Und die überwiegende Mehrheit (81 Prozent,2021: 80 Prozent) hält Sharing vor allem für den Alltag geeignet, 11 Prozent eher für Urlaubs- und Dienstreisen (2021: 15 Prozent).

In den vergangenen zwölf Monaten hat die Verbreitung von Sharing-Angeboten zugenommen. 22 Prozent nutzen zumindest hin und wieder Bike-Sharing (2021: 16 Prozent), 16 Prozent E-Scooter-Sharing (2021: 13 Prozent), 13 Prozent Carsharing (2021: 8 Prozent) und 4 Prozent Moped-Sharing. Zugleich gibt es generell großes Interesse an den unterschiedlichen Sharing-Diensten in Orten, wo diese bislang nicht verfügbar sind. 47 Prozent würden gerne Fahrräder nutzen, 45 Prozent E-Scooter, 34 Prozent Autos und 29 Prozent Mopeds.

Bei den Nutzer:innen der unterschiedlichen Sharing-Angebote gibt es eine hohe Zufriedenheit. 81 Prozent sind mit ihnen ganz allgemein zufrieden, nur 17 Prozent unzufrieden. "Sharing-Dienste haben verglichen mit anderen Mobilitätsangeboten eine außergewöhnlich hohe Zufriedenheit der Nutzerinnen und Nutzer. Die konsequente Nutzung digitaler Technologien, etwa der Buchungsprozess per Smartphone und der einfache Bezahlvorgang spielen dabei eine wichtige Rolle", erklärt Rohleder.

7 von 10 würden in ein autonomes Taxi steigen

Mobilitätsangebote könnten sich durch Technologien zum autonomen Fahren künftig stark verändern. In der Bevölkerung gibt es eine große und stetig steigende Bereitschaft, autonom fahrende Verkehrsmittel zu nutzen. So würden 71 Prozent in ein autonomes Taxi steigen (2019: 48 Prozent), 68 Prozent in eine fahrerlose U- oder S-Bahn (2019: 63 Prozent) sowie 67 Prozent in einen autonomen Bus (2019: 38 Prozent) und 66 Prozent in einen autonomen Mini- oder Shuttle-Bus. In einen autonom fahrenden privaten Pkw würden sich 63 Prozent setzen (2019: 47 Prozent), 54 Prozent in einen fahrerlosen Regional- oder Fernzug (2019: 54 Prozent), 42 Prozent in ein autonomes Schiff (erstmals abgefragt) und 35 Prozent in ein autonomes Flugzeug (2019: 12 Prozent).

Allerdings gibt es erhebliche Zweifel, dass entsprechende Angebote in Deutschland zeitnah genutzt werden können. So gibt es seit 1. Juli zwar einen rechtlichen Rahmen, der autonom fahrende Mini-Busse und Taxis auf regulären Straßen zulässt. Allerdings glaubt niemand, ein solches Angebot in den kommenden Monaten nutzen zu können, nur drei Prozent rechnen damit in ein bis zwei Jahren und neun Prozent in fünf Jahren. Dagegen glauben 26 Prozent, dass bis dahin noch zehn Jahre vergehen – und rund die Hälfte (46 Prozent) erwartet nicht einmal in mehr als zehn Jahren ein solches Angebot.

"Deutschland ist, was den Rechtsrahmen für das autonome Fahren angeht, ein europäischer und weltweiter Vorreiter. Jetzt muss es darum gehen, entsprechende Angebote auch wirklich auf die Straße zu bekommen. Das kann durch bestehende ÖPNV-Anbieter passieren, aber auch durch neue Anbieter, die sich auf autonomes Fahren spezialisieren", so Rohleder. "Wichtig ist, länderübergreifende und einheitliche Verfahren für die Genehmigung beim vernetzten und autonomen Fahren zu schaffen und Städte und Kommunen bei der Umsetzung der Mobilitätswende nicht allein zu lassen."

Mehr digitale Technologien im Verkehr gewünscht

An die Politik richten die Bürger:innen den Appell, mehr digitale Technologien zur Verbesserung der Mobilitätsangebote einzusetzen. 9 von 10 (87 Prozent) wünschen sich, dass Kommunen, Länder und Bund deutlich mehr Geld in digitale Verkehrsinfrastruktur wie intelligente Ampeln oder Verkehrszeichen investieren. Und jeweils drei Viertel erwarten eine finanzielle Unterstützung neuer Mobilitätsangebote durch Kommunen und Länder (75 Prozent) sowie mehr zentrale Anlaufstellen für Sharing-Angebote an ÖPNV-Haltepunkten (73 Prozent). 6 von 10 (56 Prozent) wünschen sich den Einsatz digitaler Technologien für einen attraktiveren Fahrradverkehr, etwa indem Ampeln für Fahrradfahrer bevorzugt auf grün geschaltet werden, wenn es ein hohes Radverkehrsaufkommen gibt oder es regnet.

"Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag ausdrücklich zur Förderung digitaler und innovativer Mobilitätsangebote verpflichtet und damit offenbar den Nerv der Menschen getroffen. Nun gilt es, diese Ankündigung auch umzusetzen und neue Mobilitätslösungen sowie die Digitalisierung der Verkehrsinfrastruktur mit konkreten Vorhaben zu fördern. Hier ist nach fast einem Jahr Ampel noch Luft nach oben", sagt Rohleder.

Bitkom lädt zur "Digital Mobility Conference" ein

Um konkrete Ansätze zur Umsetzung digitaler Mobilität geht es am 19. Oktober 2022 auch auf der "Digital Mobility Conference" des Bitkom, die dieses Jahr im Rahmen der "Smart Country Convention" stattfindet. Die Konferenz bringt Expert:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammen, um über den zum Weg von autonomer und vernetzter Mobilität in den Alltag, die Verknüpfung des individuellen und öffentlichen Verkehrs, dem Zusammenspiel zwischen Verkehrssektor und anderen Branchen sowie über Mobilitätsdaten zu sprechen. Die Anmeldung ist kostenlos unter digital-mobility.berlin/tickets möglich.

www.bitkom.org

Hinweis zur Methodik

Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverband Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden 1.005 Personen ab 16 Jahren in Deutschland telefonisch befragt. Die Umfrage ist repräsentativ.

www.bitkom-research.de

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Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverband Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden 1.005 Personen ab 16 Jahren in Deutschland telefonisch befragt. Die Umfrage ist repräsentativ.

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