Klimaforscher Christian Kind: „Wir müssen die Städte besser an den Klimawandel anpassen“

Christian Kind ist Klimaforscher und in Berlin für adelphi, Europas führenden unabhängigen Think-and-Do-Tank für Klima, Umwelt und Entwicklung, tätig. Das Team setzt sich für einen gerechten, transformativen Wandel und eine lebenswerte und zukunftsfähige Gesellschaft ein.

Der renommierte Experte analysiert vor allem die Folgen des Klimawandels für unterschiedliche Gruppen und entwickelt Strategien zum besseren Umgang mit Klimarisiken. Ein Fokus seiner Arbeit liegt auf der Evaluation von Bemühungen zur Anpassung an den Klimawandel.

Dabei ist vielen etwa nicht bekannt, wie enorm Temperaturunterschiede von bis zu 10 Grad zwischen Stadt und Land schon heute ins Gewicht fallen. Hier setzt Christian Kinds Arbeit an: Um die Kosten des Klimawandels minimieren zu können, müsste rasch gelernt werden, wie am besten mit Klimaveränderungen – etwa zunehmenden Trockenheitsphasen oder häufigeren Extremwetterereignissen – umgegangen werden kann, so sein Credo.

LEADERSNET: Beginnen wir bei Ihnen: Was tun Sie und wie sind Sie dazu gekommen?

Christian Kind: Ich habe früh festgestellt, dass Klimawandel und Klimaveränderungen uns noch länger beschäftigen werden. So habe ich mich 2009 dafür entschieden, bei adelphi einzusteigen und Beratungs- und Forschungsarbeit zum Thema Klimaveränderungen, Folgen des Klimawandels und Anpassungen an die veränderten Klimabedingungen zu leisten.

Mein Team und ich helfen Entscheidungsträgern die Implikationen von Klimaveränderungen besser zu verstehen und Risiken und Chancen aufzuzeigen, um mit diesen Veränderungen besser umzugehen. Das betrifft den Tourismus, Energie und viele andere Branchen. Wir waren zu Beginn 40 Mitarbeiter:innen und liegen jetzt bei etwa 330.

LEADERSNET: Welche Herausforderungen und Risiken stellt der Klimawandel speziell für städtische Gebiete dar, und wie beeinflusst er die Lebensqualität der Stadtbewohner?

Christian Kind: Städte sind besonders stark vom Klimawandel betroffen – vor allem durch zunehmende Hitze, Trockenheit und Starkregen. Wir haben in Städten eine hohe Konzentration von Assets, Menschen, Kulturen und Wirtschaftsfaktoren. Es gibt dort wenig Freiräume und viel Material. Dies führt dazu, dass sich die Stadt – anders als auf dem Land – wenig abkühlen kann.

Die daraus resultierenden erhöhten Temperaturunterschiede von mehr als zehn Grad stellen für vorbelastete, chronisch kranke oder ältere Menschen eine erhebliche Belastung dar. Neben den Gesundheitsrisiken spielen jedoch ebenso eine geringere Lebensqualität und verminderte Produktivität eine Rolle. Aber das ist nicht alles, denn Extremwetterereignisse nehmen zu. Enorme Hitze, dann kein Regen und daraus resultierende starke Unwetter sind die Folgen. Dieser Regen trifft dann auf ausgetrocknete Böden, wo Wasser schlecht versickert.

LEADERSNET: Welche zukünftigen Herausforderungen sehen Sie in Bezug auf die Klimaanpassung in städtischen Gebieten, und wo sehen Sie Potenzial für weitere Forschung und Innovationen auf diesem Gebiet?

Christian Kind: Es ist schon sehr viel bekannt. Wenn man auf die gesamte Stadt sieht, ist es wichtig, dass es Kaltluftschneisen gibt – zusammenhängende Parks oder größere Wasserflächen. Hier geht es weniger um Innovation, als darum, dass solche Räume frei bleiben.

Für Städte, die wachsen und wo Wohnraum immer teurer wird, ist das jedoch zumeist eine Herausforderung. Es braucht von der Stadtpolitik klare Vorgaben, wie der Raum genutzt werden kann. Wo es weitere Forschungsarbeiten braucht ist die aktive, natürliche Einbindung der Natur in die Städte – wie beispielsweise die Dachbegrünung freier Flächen.

LEADERSNET: Welche Maßnahmen und Strategien zur Klimaanpassung wurden bereits in Städten umgesetzt, und welche Erfolge wurden damit erzielt?

Christian Kind: Die Begrünung wird in der Stadtplanung vermehrt eingesetzt und man achtet darauf, passende Pflanzen auszuwählen, die Hitze besser absorbieren können. Eine konkrete Messung von Erfolgen, wie beispielsweise eine Quantifizierung von Temperaturminderungen, wird in den seltensten Fällen vollzogen. Eher noch eine Erfassung von Hitzetoten. Es wird jedenfalls immer so sein, dass in städtischen Regionen höhere Temperaturen herrschen werden als in ländlichen.

LEADERSNET: Was muss in der Stadtplanung passieren, damit die enorm gesteigerten Temperaturen der Vergangenheit angehören? Aus Sicht des deutschen Bundesverfassungsgerichts greift das Klimaschutzgesetz zu kurz.

Christian Kind: Wir müssen die Städte besser an den Klimawandel anpassen. Der wichtigste Punkt ist, dass mehr Klimaschutz in Deutschland und in anderen Ländern betrieben werden muss. Ohne umfassende Reduktion von Treibhausgasemissionen werden die Folgen des Klimawandels kaum zu bewältigen sein.

Trotzdem muss man sich auf zukünftige Veränderungen bestmöglich vorbereiten, und das bedeutet in der Stadtplanung, dass Flächen möglichst gut zu einem Stadtklima und zur Wasserrückhaltung bei Extremwetterereignissen beitragen sollten. Es gibt Innovative Lösungen im Hinblick auf die Mehrfachnutzung von Flächen – von zum Beispiel Park- oder Spielplätzen – jedoch werden sie in nur wenigen Städten entsprechend umgesetzt.

LEADERSNET: Der vereinbarte tägliche Flächenverbrauch bzw. die tägliche Flächenversieglung der deutschen Bundesregierung liegt bei 55 Hektar. Das Ziel der Bundesregierung ist es, den Flächenverbrauch bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag zu verringern. Warum passiert hier nicht mehr?

Christian Kind: Wir müssen rasch lernen, wie wir mit Klimaveränderungen umgehen können. Wir warten hier zu lange. Der häufigste Fehler ist, Ziele in weite Ferne zu verschieben.

Für Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Wohnraum sind Bauaktivitäten nötig und dies bedeutet, Flächen zu versiegeln. Hier gibt es alternative Möglichkeiten, die jedoch etwas teurer und auch an vielen Stellen noch nicht so angekommen sind. Es herrscht ein mangelndes Problembewusstsein. Denken wir an die vielen Toten im Ahrtal, wo dann alles wieder so aufgebaut wird, wie es war. Solche Ereignisse werden häufiger und trotzdem passiert nicht wirklich etwas.

LEADERSNET: Kurzfristige Lösungen sind das eine, aber langfristig muss sich in der Stadtplanung etwas ändern. Wie sieht in Ihren Augen die Stadt der Zukunft aus? Große Ballungsräume umzurüsten, das braucht Zeit.

Christian Kind: Es wird häufig vergessen auch den ländlichen Raum attraktiver zu machen. Die Städte wachsen und verdichten sich weiter und einige Probleme lassen sich nicht vollkommen lösen. Bessere ärztliche Versorgung und bessere Technologien können helfen, das Leben auf dem Land für Menschen attraktiver zu machen und so die Lebensqualität zu steigern.

LEADERSNET: "Bosco Verticale" werden die begrünten Mailänder Zwillingstürme des dafür bekannten italienischen Architekten, Stefano Boeri, genannt. Die ökologisch-architektonischen Meisterwerke produzieren jedoch Mehrkosten pro Wohneinheit von monatlich 1.500 Euro. Werden ökologisch sinnvolle Projekte in Zukunft etwas für Besserverdiener bleiben?

Christian Kind: Er hat auch Konzepte in Albanien zu deutlich geringeren Kosten umgesetzt. Aber Sie haben recht, der Bau war teuer, jedoch haben die Türme auch eine gewisse Strahlkraft. Wir gewannen ebenso enorme Erfahrungswerte dadurch. Zukünftig werden solche Projekte einer von vielen Bausteinen der Städteplanung sein.

LEADERSNET: Gibt es eine Stadt, bei der man sagen kann, dass sie richtig gut auf den Klimawandel und die Erderwärmung eingestellt ist?

Christian Kind: Die Stadt Rotterdam hat hier einiges zum Thema Meeresspiegel umgesetzt. Man kann dort den Hafen auch bei steigendem Meeresspiegel sehr gut betreiben. Die dort aufgebaute Expertise wird mittlerweile in vielen anderen Städten weltweit genutzt. Zum Thema Hitze wird in Wien viel gemacht. Man nutzt dort innovative Technologien zur Kühlung mittels Wasser, wie Besprühungsanlagen und mobile Begrünungen. In der Folge wurden in Wien diese Aktivitäten evaluiert und für weitere wegweisende Projekte herangezogen.

www.adelphi.de

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV