"Das ist für mich die dritte Revolution in der Automobilproduktion"

Lean-Partners-Managing-Partner Thomas Schulz erklärt im LEADERSNET-Interview, was deutsche Betriebe sich von Tesla, nach deren Auftragsrekord, jetzt dringend abschauen sollten.

Thomas Schulz blickt auf eine langjährige Karriere in der Unternehmensberatung zurück. Er ist Managing-Partner bei Lean Partners und Experte für Lean Production. Dabei unterstützt er als Unternehmensberater für die Produktionssparte Geschäftsführer und ihre Führungskräfte dabei, die Produktionsproduktivität ihrer Firma gezielt zu verbessern. Sein Know-how und seine Ansätze kommen unter anderem bei Mercedes Benz und auch bei Tesla zur Anwendung. Im Interview verrät er, was deutsche Betriebe von Tesla lernen können.

LEADERSNET: Für diejenigen, die es nicht wissen, was bedeutet es ein Unternehmensberater für die Produktionssparte zu sein? Was machen Sie konkret?

Schulz: In jeder Produktionsstätte gibt es einen Wertstrom, der den Weg vom Wareneingang bis zum fertigen Produkt abbildet. Dabei führen Mitarbeiter sowohl wertschöpfende Arbeitsinhalte als auch Verschwendungs-Arbeitsinhalte aus. Um den Wertstrom zu optimieren, arbeiten wir eng mit unseren Kunden zusammen und gehen dabei in zwei Schritten vor: Im ersten Schritt visualisieren wir den Wertstrom und den Kennzahlenwürfel für den "idealen Zustand". Im zweiten Schritt analysieren wir den Wertstrom, um die größten Handlungsfelder zu identifizieren. Darauf aufbauend entwickeln wir ein Umsetzungskonzept, um die Prozesse und Abläufe im Wertstrom zu optimieren. Unser Ziel ist es, die Produktivität zu steigern und bessere Ergebnisse zu erzielen.

LEADERSNET: Als international agierende Unternehmensberatung haben Sie Ihre Kernkompetenzen in Hoshin- und Lean- Management, KATA und Scrum. Was bedeuten diese Fachausdrücke konkret? Was hat es damit auf sich?

Schulz: Begonnen hat das Lean-Management mit Frederick Winslow Taylor und Henry Ford mit der Entwicklung der Fließfertigung. Dieses Produktionssystem wurde durch Taiichi Ohno zum Toyota Produktionssystem weiterentwickelt. Dabei geht es darum, jegliche Verschwendung zu identifizieren und zu reduzieren. Dabei steht der Mitarbeiter immer im Mittelpunkt. Die anderen Begriffe behandeln Ansätze des Lean-Managements, wie Hoshin Kanri (ein japanischer Ansatz des Ziel-Entfaltungs-Managements). Die Methode dient dazu, eine klare Richtung und Prioritäten zu setzen, um eine konsistente und effektive Umsetzung der Ziele sicherzustellen.

LEADERSNET: Elon Musk erreichte mit Tesla jüngst einen Auslieferungsrekord. Kaum ein anderer Autohersteller kann mit der Effizienz und Schnelligkeit des Elektroauto-Pioniers mithalten. Worauf ist das zurückzuführen und was können deutsche Betriebe von Tesla lernen?

Schulz: Elon Musk ist ganz klar ein Paradigma-Pionier, der die Herstellung eines PKWs grundsätzlich in Frage gestellt und einen eigenen "Tesla-Weg" eingeschlagen hat. Für mich ist das die dritte Revolution in der Automobilproduktion! Ich erkenne ganz klar die Weiterentwicklung des Toyota-Produktionssystems.

Hierzu einige Kernpunkte: Die Faktoren Qualität, Preis und Lieferzeit sind ausschlaggebend dafür, ob Kunden ein Produkt kaufen oder nicht. Tesla hat mit seinem Elektrofahrzeug im Vergleich zu einem Verbrenner ein herausragendes Produkt auf den Markt gebracht: Das Fahrzeug ist äußerst langlebig und hat nur einen Bruchteil der Haltungskosten im Vergleich zu einem Verbrenner. Die Lebensdauer eines Tesla-Fahrzeugs ist mehr als doppelt so lang wie die eines Verbrenners und die Fahrzeuge werden kontinuierlich und kostenlos verbessert. Der Verbraucher besitzt buchstäblich immer ein nahezu neues Fahrzeug, weil das Produkt nicht alt wird und aktuell bleibt. Darüber hinaus weist ein Tesla einen enorm hohen Wiederverkaufswert auf und verfügt über eine hochwertige Grundausstattung. Tesla setzt ebenso auf Innovation im Karosseriebau, indem statt 171 Blechteilen für den Unterbau nur noch zwei Teile aus Druckguss gegossen werden. Dadurch werden zahlreiche Roboter- und Mitarbeiterarbeitsinhalte eingespart und der Wertstrom im Rohbau drastisch verkürzt.

LEADERSNET: In vielen deutschen Betrieben ist seit Jahren niemand mehr auf die Idee gekommen, Prozesse komplett neu bzw. anders zu denken. Was muss sich hier ändern?

Schulz: Alles am Markt funktioniert mit "Umsatz minus Kosten gleich Gewinn!" Wenn die Kosten immer mehr steigen, geht irgendwann das Licht aus! Deshalb muss man frühzeitig die Kosten beeinflussen. Produktivität ist dabei ein ganz wichtiger Stellhebel. Um den Ideal-Zustand zu skizzieren, helfen die folgenden Fragen: Wie können wir auf der grünen Wiese bestmöglich unser Produkt herstellen? Wie gestalten wir die Prozesse, um den Transportaufwand gegen Null zu reduzieren? Mit welchen Anlagen, Hilfsmittel, Vorrichtungen können wir die Wertschöpfung beschleunigen und die Verschwendungen gegen Null reduzieren?

LEADERSNET: Was sind Ihrer Meinung nach die häufigsten Fehler, welche die Produktionsproduktivität von Firmen betreffen?

Schulz: Es gibt drei Fehler, die in der Produktionsprozessoptimierung vermieden werden sollten. Der erste Fehler ist die fehlende Führung und Orientierung, die oft dazu führt, dass der Ist-Zustand und der Ziel-Zustand nicht klar definiert sind. Der zweite Fehler besteht darin, dass das Management oft den Status-quo des aktuellen Produktionsprozesses akzeptiert und nicht ausreichend hinterfragt, wie der Prozess optimiert werden kann. Der dritte Fehler ist, dass das Potenzial der Mitarbeiter oft nicht systematisch genutzt wird, um Produktionsprozesse zu verbessern.

LEADERSNET: Mit welcher allgemein anerkannten Wahrheit in Ihrer Branche bzw. im Hinblick auf die Produktions-produktivität von Unternehmen stimmen Sie nicht überein?

Schulz: Ich denke, dass es in der Produktion keine universelle Lösung gibt, die für alle Unternehmen gleichermaßen geeignet ist. Stattdessen sollten die Bedürfnisse und Anforderungen jedes Unternehmens individuell betrachtet werden, um eine maßgeschneiderte Lösung zu finden. In dieser Hinsicht denke ich, dass es wichtig ist, flexibel und anpassungsfähig zu sein und sich nicht auf eine allgemein anerkannte Wahrheit zu verlassen.

LEADERSNET: Sie kommen viel umher – Japan, Deutschland, USA und Österreich. Was braucht es im deutschsprachigen Raum um im Hinblick auf die Produktivität zu anderen Ländern aufzuschließen? Was sind die kulturellen Differenzen die Sie vorfinden? Sind die Mentalitäten unterschiedlich? Welches Land war das härteste Pflaster?

Schulz: Es gibt sicherlich kulturelle Differenzen zwischen den Ländern und es gibt auch sicherlich kulturellen Differenzen in Firmen geprägt durch die Führung. Alle Toyota-Produktionen – egal ob in Japan, in der USA oder in Europa – streben danach, immer weiter ihre Produktivität zu verbessern. Überall dort, wo die Führungskräfte die Basis schaffen, um die Produktivität zu verbessern, wird auch die Produktivität verbessert, unabhängig vom Land. Das härteste Pflaster ist dort, wo die Führung im Veränderungsprozess fehlt und die "Verhinderer" jegliche Veränderung und somit Verbesserung blockieren.

LEADERSNET: Welche Erfahrungen haben Sie mit Osteuropa gemacht? Die Menschen verdienen in Osteuropa weniger als bei uns, jedoch empfindlich niedriger sind deren Lohnnebenkosten. Wir befinden uns in einem globalen Wettbewerb und viele Unternehmen wollen sich das zu Nutze machen. Herrscht dort immer noch Aufbruchsstimmung?

Schulz: Ich beobachte, dass immer mehr große deutsche Unternehmen in Richtung Osten gehen, um dort die Produkte für den deutschen Markt zu bauen. Zuerst waren es Polen, Tschechien, Rumänien. Dann ging es weiter in Richtung Asien, angefangen mit der Ukraine (vor dem Krieg). Grundsätzlich ist der Aufbau in einer Fabrik beziehungsweise Produktion immer gleich, egal in welchem Land. Hier ist der Faktor Lohnkosten sicherlich wichtig, aber auch in den östlichen Ländern werden die Löhne und die Nebenkosten steigen. Hinzu kommen die Logistikkosten mit dem Einfluss der gestiegenen Treibstoffpreise. Das muss jedes Unternehmen für sich entscheiden und die Vor- und Nachteile abwägen.

LEADERSNET: Erzählen Sie mir etwas von Ihren Lieblingsbüchern. Was lesen Sie gerade?

Schulz: Meine Lieblingsbücher sind "Mein Leben und Werk" von Henry Ford, "Das Toyota Produktionssystem" von Taiichi Ohno und "Die zweite Revolution in der Automobilindustrie" von James P. Womack, Daniel T. Jones und Daniel Roos. Zur Zeit bin ich auf dem Tesla-Trip und lese alles mögliche über Tesla, speziell über Grünheide, über die Führung und das Management von Tesla.

www.lean-partners.de

Über Thomas Schulz

Thomas Schulz ist nach eigenem Bekunden "über viele Umwege und ständige Weiterbildung" zu Lean Partners gekommen. Begonnen hat er seine berufliche Laufbahn im Steinkohlebergbau. Als Elektrotechniker und Betriebswirt kam er in ein Prozessoptimierungsteam und hat sehr viele Workshops durchgeführt. Durch einen Zufall durfte er bei Mercedes in der S-Klassen-Montage einen einwöchigen Workshop durchführen. "Der Workshop wurde ein voller Erfolg für den Kunden", so Schulz.

Ende März 2007 bekam er dann die Aufgabe, an den Standorten Düsseldorf und Ludwigsfelde die Führungskräfte bei der Umsetzung des Mercedes-Produktionssystems zu unterstützen. Während seiner Zeit bei Mercedes hat er dann Helge Hanslik kennengelernt. Aufgrund ihres gemeinsamen Erfolges haben sie 2011 mit Ralph Winkler und Bernd Mittelhuber die Beratungsfirma Lean Partners Projekt Gesellschaft gegründet.

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Über Thomas Schulz

Thomas Schulz ist nach eigenem Bekunden "über viele Umwege und ständige Weiterbildung" zu Lean Partners gekommen. Begonnen hat er seine berufliche Laufbahn im Steinkohlebergbau. Als Elektrotechniker und Betriebswirt kam er in ein Prozessoptimierungsteam und hat sehr viele Workshops durchgeführt. Durch einen Zufall durfte er bei Mercedes in der S-Klassen-Montage einen einwöchigen Workshop durchführen. "Der Workshop wurde ein voller Erfolg für den Kunden", so Schulz.

Ende März 2007 bekam er dann die Aufgabe, an den Standorten Düsseldorf und Ludwigsfelde die Führungskräfte bei der Umsetzung des Mercedes-Produktionssystems zu unterstützen. Während seiner Zeit bei Mercedes hat er dann Helge Hanslik kennengelernt. Aufgrund ihres gemeinsamen Erfolges haben sie 2011 mit Ralph Winkler und Bernd Mittelhuber die Beratungsfirma Lean Partners Projekt Gesellschaft gegründet.

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