Einmal im Netz, immer im Netz

| Alexander Schöpf 
| 05.09.2022

Die Organisationen Oak Foundation und Purpose fordern endlich Maßnahmen, um die Verbreitung pädokrimineller Bilder und Videos dauerhaft zu unterbinden.

Der Fall des Darknet-Forums "BoysTown" ist ein besonders eklatantes Beispiel dafür, wie Fotos und Videos, die schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, aufgrund von Gesetzeslücken auch dann noch ungelöscht im Netz kursieren, wenn die Urheber bereits gefasst sind.

Opfer – ein Leben lang

Am Ende seiner mehr als dreijährigen Amtszeit schlug Horst Seehofer als nunmehr geschäftsführender Bundesinnenminister Alarm. "Das Bild- oder Videomaterial darf auf keinen Fall dauerhaft abrufbar sein. Die Betroffenen werden sonst immer wieder zum Opfer, und zwar ein Leben lang", forderte er 2021 auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts (BKA) das Löschen von Videos und Fotos von sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet.

Die Adresse seines Appells ist die Richtige, denn das ihm unterstehende BKA hat in Deutschland eine zentrale Aufgabe beim Kampf gegen Kindesmissbrauch. "Seehofers Forderung hat die Behörde seit Jahren allenfalls teilweise erfüllt", kritisieren die Organisationen Oak Foundation und Purpose, die endlich Maßnahmen fordern, um die Verbreitung pädokrimineller Bilder und Videos dauerhaft zu unterbinden.

Rechtslücken werden aufgezeigt

Der Fall der Darknet-Plattform "BoysTown" zeigt besonders deutlich die bestehenden Rechtslücken beim Unterbinden der Weiterverbreitung von Online-Content zum sexuellen Missbrauch von Kindern. "BoysTown" war eine der weltweit größten Plattformen für sexuellen Kindesmissbrauch, auf der die Missbrauchsaufnahmen von Jungen ausgetauscht wurden. Ab August 2019 posteten die User fast täglich deutlich mehr als 1.000 Beiträge im Forum. Insgesamt wurden mehr als eine Million Forenbeiträge verfasst.

Die Zahl der registrierten Accounts wuchs täglich um mehrere hundert an, an manchen Tagen waren es mehrere tausend Neuregistrierungen. Mehr als 400.000 Mitglieder – ein großer Teil davon mehrfach anonym registrierte User – waren online im April 2021 registriert, als BKA und die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main "BoysTown" abschaltete und vier mutmaßliche Hintermänner festgenommen wurden. Gegen diese vier Männer im Alter von 41 bis 65 Jahren, von denen zwei selbst am Kindesmissbrauch aktiv beteiligt waren, läuft seit April dieses Jahres ein Gerichtverfahren. Die Anklage lautet auf bandenmäßige Verbreitung kinder- und jungendpornografischer Inhalte, Herstellung von Kinderpornographie und schwerer sexueller Missbrauch von Kindern.

Fehlen von klar definierte juristische Befugnisse

Neben der Verhaftung der Tatverdächtigten versäumten die Behörden jedoch, die Verbreitung der illegalen Inhalte zu stoppen. Während "Boystown" offline war, konnten die auf der Plattform getauschten Fotos und Videos weiterverbreitet werden. Die Aufnahmen lagen bei gewöhnlichen Speicherdiensten im Netz, die vom pädokriminellen Content nichts wussten und von den Ermittlern auch nicht informiert wurden. So konnten die pädophilen User wenige Tage nach dem Ende von "Boystown" eine Kopie in das Netz hochladen. Tausende Fotos und Videos waren damit wieder verfügbar.

Möglich wurde diese Internetlücke durch fehlende, klar definierte juristische Befugnisse. Auf Anfrage stellte die Bundesregierung klar, dass das BKA stets nur auf Anweisung einer Staatsanwaltschaft löschen dürfe. Nur "im Ausnahmefall auf Ersuchen und unter Sachleitung einer zuständigen Staatsanwaltschaft im Einzelfall" könne das BKA selbst Ermittlungen gegen pädokriminelle Plattformen durchführen.

Technisch könnte die Weiterverbreitung gestoppt werden

Aber auch in einem solchen Fall müsse die Frage, ob und wann dort Aufnahmen gelöscht werden, von einer Staatsanwaltschaft beantwortet werden. Umgekehrt verweisen auf Kindesmissbrauch-Ermittlungen spezialisierte Staatsanwält:innen, dass das Löschen von Links "eine präventive polizeiliche Aufgabe" sei und damit in die Zuständigkeit das BKA falle. "Aus dem Bundesinnenministerium unter der neuen Ministerin Nancy Faeser heißt es jetzt, dass es dem BKA an einer Rechtsgrundlage für die selbstständige Löschung fehle – sowohl im Strafverfahren als auch bei der Gefahrenabwehr. Im Strafverfahren obliege die Entscheidung über eine Löschung allein der zuständigen Staatsanwaltschaft als "Herrin des Verfahrens".

"Von technischer Seite könnte die Weiterverbreitung unverzüglich gestoppt werden. Die Datenmengen der illegalen Aufnahmen, die im Internet ausgetauscht werden, sind zu groß, um auf den Darknet-Plattformen selbst gespeichert werden zu können", informieren die Oak Foundation und Purpose. Daher greifen die Pädokriminellen auf Speicherdienste im gewöhnlichen Internet zurück, sogenannte One-Click-Filehoster. Dafür legen sie ihre Datenmengen in einen Ordner, den sie als sogenanntes Archiv mit einem Passwort verschlüsseln, und laden dieses Archiv beim Filehoster hoch. Im Darknet-Forum teilen die Pädokriminellen dann den entsprechenden Download-Link und das dazugehörige Passwort. Weil mögliche Upload-Filter durch den Passwortschutz nicht greifen, ahnen die Filehoster meistens nichts von den kriminellen Inhalten.

Mehr noch: Aus juristischer Grundlage wäre es sogar illegal, würden Filehoster-Betreiber im Internet gezielt nach Fotos und Videos suchen, auf denen Kindesmissbrauch zu sehen ist. Stattdessen sind Filehoster darauf angewiesen, dass sie einen Hinweis erhalten. Das Canadian Center für Child Protection (C3P) schätzt, dass nur etwa drei Prozent der Fotos und Videos, die Kindesmissbrauch dokumentieren, im Darknet selbst gehostet werden. 97 Prozent hingegen liegen im Clearweb, also dem Teil des Internets, der mit gewöhnlichen Browsern wie Firefox oder Chrome ansteuerbar ist.

Vorhanden Möglichkeiten werden nicht genutzt

Würden Inhalte konsequent und dauerhaft gemeldet, können auch Internetfirmen das Material für ein wiederholtes Hochladen sperren. Einige der Filehoster, die derzeit am stärksten von den Pädokriminellen missbraucht werden, haben bereits solche Uploadfilter im Einsatz. Sie produzieren dafür aus gemeldeten Inhalten einen sogenannten Hashwert und legen ihn in eine Datenbank. Versucht jemand, eine Datei unverändert mit demselben Hashwert erneut hochzuladen, bricht der Upload sofort ab. Dies funktioniert sogar für die verschlüsselten Archivdateien der Pädokriminellen – allerdings nur, wenn die Filehoster von Behörden einen Hinweis erhalten, welche spezifischen Dateien mit den dazugehörigen Hashwerten illegal sind.

"Die Internetfirmen, das BKA und die Staatsanwaltschaft hätten demnach Wege und Möglichkeiten, die Verbreitung von pädokriminellen Bildern und -Videos zu unterbinden. Doch sie tun es nicht. Das liegt daran, dass die Gesetzeslage nicht klar genug ist, um irgendeiner Behörde klar und unzweifelhaft die Verantwortung und die Mittel dafür zu übertragen, dass die Verbreitung solcher Bilder und Videos gestoppt wird", so die Kritik von Purpose und der Oak Foundation.

www.oakfnd.org

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