Andrea Hartmair: „Nur wer gut kommuniziert, kann Unternehmen gut übernehmen"

| Dagmar Zimmermann 
| 03.12.2023

Die harten Fakten sprechen für sich: 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind Familienunternehmen, davon sind zwischen 2022 bis 2026 rund 190.000 übergabereif. Aber: Nur 15 Prozent der Nachfolger:innen sind weiblich. „Unsere Wirtschaft ist immer noch männlich geprägt, wir sind in tradierten Rollenbildern verhaftet“, sagt Kommunikations-Expertin Andrea Hartmair. Sie unterstützt Unternehmen und Menschen dabei, in der Nachfolgephase erfolgreich zu kommunizieren und ihre Botschaften wirksam nach außen zu tragen.

LEADERSNET: Hand aufs Herz, Frau Hartmair: Für wen wiegt das Thema Nachfolge im Unternehmen schwerer – für die junge oder für die ältere Generation?

Andrea Hartmair: Für beide Generationen ist es eine große Aufgabe. Loslassen und annehmen – das muss Hand in Hand geschehen. Ich finde, bei BabyOne, ein Händler für Babyausstatter und Babyartikel, ist das hervorragend gelungen. Anna Weber und Jan Weischer haben hier die Geschäftsführung seit 2021 inne – die Eltern Gabriele und Wilhelm Weischer haben ihnen das Zepter voll und ganz übergeben. Die Kommunikation darüber lief perfekt und reibungslos. Natürlich gibt es für eine Nachfolge nicht die eine Paradelösung. Aber egal, ob klarer Cut, längere Begleitphase oder Hand in Hand – die Kommunikation einer Unternehmensnachfolge muss detailliert geplant und gesteuert werden.

LEADERSNET: Wie meinen Sie das?

Andrea Hartmair: Ich bin überzeugt davon, dass die nächste Generation in einem Familienunternehmen immer die erste Wahl sein sollte, wenn wir über Unternehmensnachfolgen sprechen. Familienunternehmen und der Mittelstand sind die Wirtschaftstreiber in Deutschland, Menschen können hier Intrapreneure sein – sofern der Zusammenhalt und die entsprechende Kultur in der Familie gelebt wird. In Konzernen kann man vermeintlich schneller aufsteigen und mehr Geld verdienen, aber was du in einem Familienunternehmen bewirken kannst, wie kreativ du sein kannst – das ist ein ganz großer Schatz. Die Werte und Traditionen gilt es zu erhalten und nach außen zu tragen – mit der richtigen Kommunikation.

LEADERSNET: Was ist Ihre Aufgabe dabei?

Andrea Hartmair: Ich bin vertrauensvolle Sparringspartnerin, kreative Umsetzerin und motivierende Mutmacherin. Ich setze mich mit meinen Kund:innen transparent und offen mit ihrem Status Quo auseinander. Mit einem klaren Bild arbeiten wir zielgerichtet und kontinuierlich am Branding – vom Personal Branding über Employer Branding bis zum Corporate Branding sowie an einer nachhaltigen Kommunikationsstrategie, um die Sichtbarkeit zu erhöhen. Wo stehen wir? Was kommt auf uns alle zu? Wo wollen wir hin? Alles wichtige Fragen, denen man sich stellen muss. Übrigens ist es mir besonders wichtig, Frauen in die Sichtbarkeit zu begleiten. Ich bin überzeugt davon, dass eine Frau in Führung einen ganz besonderen Spirit und Schwung in das Unternehmen bringen kann. Role Models gibt es heute zwar schon, aber es müssen noch viel mehr werden. Es ist kein Geheimnis und lässt sich nachweisen, dass sich eine gute Sichtbarkeit positiv für die Einzelpersonen und das Unternehmen auf den Geschäftserfolg auswirkt. Unternehmen müssen und sollen wirtschaftlich funktionieren, da gilt es alle Hebel in Bewegung zu setzen. Oft stehen Zahlen, Daten, Fakten, KPIs und Produktionsabläufe im Vordergrund, die eigene Sichtbarkeit rückt dann in den Hintergrund.

LEADERSNET: Wie gehen Sie vor?

Andrea Hartmair: Am Anfang steht das Branding, die Positionierung, die Strategie, der Aufbau – es ist möglich, diesen Prozess in drei Monaten zu absolvieren. Dann geht es in die Sichtbarkeit, bei der es wichtig ist, dranzubleiben. Es ist zwar nicht möglich, innerhalb weniger Wochen große Erfolge zu sehen. Um die Auswirkungen auf den Geschäftserfolg zu messen, dauert es viele Monate, wenn nicht Jahre. Aber ohne Sichtbarkeit verschenken Unternehmer:innen wertvolles Potenzial. Die Zeiten ändern sich, und ein Familienunternehmen muss sich bewegen; es muss investiert werden – auch und gerade in die Kommunikation.

LEADERSNET: Warum ist Sichtbarkeit wichtig?

Andrea Hartmair: Unternehmensnachfolger:innen sind das Gesicht nach innen und außen. Sie müssen eine starke Stimme sein und authentische Sichtbarkeit bekommen. Wenn eine neue Person an der Spitze eines Unternehmens steht, muss sie klar positioniert sein, mit einer eindeutigen Ausrichtung. Nicht nur extern, sondern auch intern bei den Mitarbeitenden. Beides sind Faktoren, die auf den Geschäftserfolg einzahlen.

LEADERSNET: Was sind die größten Fehler bei der Positionierung von Familienunternehmer:innen?

Andrea Hartmair: Wenn zum Beispiel die Tochter des Chefs immer die Tochter des Chefs bleibt, auch nach der Unternehmensübergabe, dann wird es schwierig. Besonders Frauen müssen häufig an ihrer Reputation arbeiten, gerade wenn sie in einem technisch, männlich dominierten Umfeld arbeiten. Ein weiterer Trugschluss sind punktuelle Einmal-Kommunikationen. Eine Pressemeldung im Jahr, zwei Event-Besuche und hin und wieder ein Posting sind genauso unzureichend wie vereinzelte Mitarbeiterinformationen oder unklare Zuordnung von Verantwortungsbereichen. Es bedarf Klarheit und Regelmäßigkeit in der Kommunikation, bisweilen einen langen Atem. Außerdem treten viele in die Traditionsfalle. Was schon immer so war, muss heutzutage mehr denn je überprüft und innovativ frisch und modern aufgeladen werden – die Konkurrenz schläft nicht, der Markt ist enger geworden und nur wer sichtbar ist, hat eine Chance damit zu glänzen.

LEADERSNET: Können Sie konkrete Beispiele nennen?

Andrea Hartmair: Stellen Sie sich vor: Sie sind Sohn oder Tochter eines Unternehmers, zumindest einige der Mitarbeitenden kennen Sie von klein auf und Sie sind mit allen per Du. „Best buddy“ in der Firma zu sein, ist sicher nett, kann jedoch zum Problem werden, sobald Sie das Unternehmen übernehmen. Warum? Weil Sie schwierige und unangenehme Gespräche führen werden, mit Mitarbeitenden diskutieren werden und das Unternehmen auch durch Täler bringen müssen.

LEADERSNET: Wie ist hier die beste Vorgehensweise?

Andrea Hartmair: Ein offenes, respektvolles Verhältnis schaffen. Ich nenne gerne dieses Beispiel: Halten Sie sich aus Stammtischen, zu denen sich Mitarbeitende treffen, raus, aber spendieren Sie – aus der Ferne – gerne mal ein Abendessen oder eine Runde Getränke.

LEADERSNET: Welchen Background bringen Sie persönlich mit?

Andrea Hartmair: Ich war als Marketing- und Kommunikationsexpertin 20 Jahre lang angestellt, 15 Jahre davon in Familienunternehmen. Dabei habe ich direkt mit den Inhabern zusammengearbeitet, was eine ganz persönliche Nähe mit sich brachte. Einmal habe ich einen Generationswechsel 1:1 miterlebt. Das war für mich eine prägende Zeit, weil ich gemerkt habe, welche Emotionen darin verhaftet sind und wie stark diese schwanken können. Auf der einen Seite habe ich bei den Familienmitgliedern einen absoluten Erfolgsrausch festgestellt und einen Antrieb, der stärker ist, als man ihn in Konzernen erlebt. Auf der anderen Seite: Momente, in denen es in den Familienunternehmen an Stärke und Motivation fehlte, weil Existenzängste näher liegen, wenn die Geschäfte nicht so liefen wie geplant.

LEADERSNET: Stichwort Emotionen: Kann es zu viel Leidenschaft geben?

Andrea Hartmair: Nein, Leidenschaft ist ein Erfolgstreiber. Es darf nur nicht sein, dass man jedem seine Form der Leidenschaft überstülpen möchte. Man muss Nachfolger:innen und Mitarbeitenden den Freiraum lassen, selbst gestalten zu dürfen. Übrigens: Ich stelle immer wieder fest, dass Frauen für ihre Themen besonders brennen und Menschen in hohem Maße inspirieren und mitnehmen können.

LEADERSNET: Was können Frauen noch besser?

Andrea Hartmair: Frauen sind empathischer, sind offener, feiern die Erfolge mit ihren Teams anders und lassen Kolleg:innen neben sich wachsen. Männliche Ausnahmen bestätigen die Regel. Am männlichen Chef kommt oft keiner vorbei…

LEADERSNET: Wenn Frauen Ihre Expertise und Ihren Rat suchen – passiert das aus einer Verzweiflung heraus?

Andrea Hartmair: Ganz im Gegenteil! Frauen, die sich Unterstützung an ihre Seite holen, sind sehr schlau. Sie engagieren mich ganz bewusst. In mir finden Sie eine Gesprächspartnerin auf Augenhöhe, ich kann helfen, sie auf allen relevanten Kanälen sichtbar zu machen. Zudem zeige ich neue Sichtweisen auf und gebe Impulse – gerade auch bei Themen, die im engsten Familienkreis diskutiert werden und bei denen es eine unabhängige Meinung, ein Blick von oben auf das große Ganze, braucht.

LEADERSNET: Kann die Kommunikation von Unternehmensübergaben auch schiefgehen?

Andrea Hartmair: Natürlich, wie man an Wolfgang Grupp sieht. Welches seiner Kinder macht er zum Nachfolger? Und wann? Wie muss das Privatleben der Kinder aussehen? Und welchen Partner müssen sie mitbringen? Mit diesen Fragen spielt Wolfgang Grupp, und ich bin mir sicher: Diese Kommunikation muss eine Last für seine Kinder sein. Was Wolfgang Grupp offenbar nicht bedacht hat: Bei öffentlichen Diskussionen schlagen sich Mitarbeitende unterbewusst auf die eine oder andere Seite, das ist extrem gefährlich und kann als Boomerang auf das Unternehmen zurückfallen. Ich plädiere immer dafür: Intern diskutieren und die Öffentlichkeit erst dann an Entscheidungen teilhaben lassen, wenn es eine Lösung gibt.

Zur Person:

Andrea Hartmair – Inhaberin von Andrea Hartmair C-Level Kommunikation

Energie, Leidenschaft und Kommunikation pur – dafür steht Andrea Hartmair. Sie ist Marketing- und Kommunikationsexpertin seit über 20 Jahren. Zuletzt erfolgreich als Chief Communications Officer im Mittelstand, hat die Mama sechsjähriger Zwillinge 2022 ihre eigene Beratung für C-Level Kommunikation gegründet.

Durch ihre langjährige Expertise und Kreativität, gepaart mit ihrem Herzblut für Kommunikation und Sichtbarkeit, begeistert sie nicht nur Kunden*innen, sondern bringt Unternehmen und deren Führungskräfte erfolgreich zum Leuchten.

Außerdem folgt Andrea Hartmair mit ihrem 2021 initiierten Blog ManagerMama.de ihrer Vision, alle Frauen, die die Doppelrolle als Führungskraft und Mama wollen, leben und lieben zu motivieren, ihren Weg zu gehen. Damit möchte sie als Thought Leader Grenzen verschieben und die Vereinbarkeit von Familie und Karriere 100% salonfähig machen.

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